TK: Sie haben Ihre Aufgabe als Geschäftsführer der BKG mitten in der Corona-Pandemie übernommen. Was war das für ein Einstieg? Wie waren die ersten Gespräche mit den Kliniken?

Roland Engehausen: Der Start meiner neuen Aufgabe und Verantwortung für die BKG Ende 2020 fiel mitten in die sog. zweite Welle der Pandemie. Diese fing bekanntlich recht harmlos an und wir alle hatten ab Ende Oktober das Wort "Brückenlockdown" mehrfach im Ohr. Doch es kam anders: gerade rund um die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel hatten wir in unseren Kliniken eine Höchstbelegung mit COVID-19-Patientinnen und Patienten. Und nachdem auf die zweite Welle nahezu ohne Verschnaufpause für die Klinikbeschäftigten eine dritte Welle fast nahtlos folgte, ging dieser Lockdown bis Mai weiter.

Spätestens ab Mitte November habe ich in meiner neuen Funktion mehrfach härtere und längerfristig angelegte Pandemiemaßnahmen gefordert. Der sog. "harte Lockdown" Mitte Dezember kam leider viel zu spät und wir hatten in Deutschland, leider auch in Bayern, deutlich steigende Sterbezahlen "an und mit" COVID-19 und eine nachweisliche Übersterblichkeit. 

Roland Enge­hausen

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Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft e. V.

Für die Beschäftigten in den bayerischen Kliniken waren dies allerdings keine statistischen Zahlen, sondern tägliches Erleben mit allen denkbaren physischen und psychischen persönlichen Belastungen insbesondere rund um die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel 2020/21.

Persönlich bin ich sehr beeindruckt, wie gut unsere bayerischen Kliniken die Herausforderungen der Pandemie gemeistert haben.
Roland Engehausen

Für an Covid-19-erkrankte Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen gab es bei aller Sorge um die Krankheit immerhin die Gewissheit, dass die Krankenhausversorgung in Bayern trotz der enormen Herausforderungen jederzeit sichergestellt war. Aber leider auch zu Lasten von Menschen mit anderen Erkrankungen, deren planbare Operation teilweise bereits zum zweiten Mal verschoben werden musste. Dies hat mich nicht nur sehr nachdenklich gemacht, sondern meine neue Aufgabe auch sehr nah an die Menschen in den Krankenhäusern und den praktischen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Kliniken herangeführt.

Der Austausch mit den Verantwortlichen in den Kliniken persönlich, telefonisch und über Video-Gespräche war bereits von Anfang an sehr hoch. Dies hat mir kaum Zeit zur Eingewöhnung gelassen, aber umso schneller wurde ich so Teil der bayerischen Krankenhausfamilie.

Ab 27. Dezember, dem frühestdenkbaren Zeitpunkt, konnten wir über die BKG praxisorientierte Strukturen schaffen, damit in den bayerischen Kliniken die Beschäftigten in den jeweiligen Prioritätengruppen und später auch Patientinnen und Patienten geimpft werden konnten. Persönlich bin ich sehr beeindruckt, wie gut unsere bayerischen Kliniken die Herausforderungen der Pandemie gemeistert haben und wie vorbildlich die Beschäftigten "die Ärmel hochgekrempelt" haben, um sich mit gutem Beispiel vorangehend selbst impfen zu lassen. Mit diesem schrittweise verstärkten Schutz war es auch möglich, die dritte Pandemiewelle zu bewältigen. 

Wir werden an den stabilen Säulen unserer Gesundheitsversorgung tagtäglich gemeinsam weiterarbeiten müssen.
Roland Engehausen

Rückblickend war es sicher ein ganz besonderer Einstieg als BKG-Geschäftsführer, der mich sicherlich sehr nachhaltig prägen wird. Auch in Zukunft wird es in meiner Aufgabe in erster Linie darum gehen, bestmögliche Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe und stabile Patientenversorgung in bayerischen Krankenhäusern zu schaffen und für gute Beschäftigungsbedingungen zu sorgen.

TK: Vor Ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft waren Sie bei verschiedenen Krankenkassen tätig. Inwiefern unterstützt diese Erfahrung Sie bei Ihrer jetzigen Tätigkeit? 

Engehausen: Tatsächlich haben mich mehrere Berufsjahre für eine Ersatz- und eine Betriebskrankenkasse sowie über sechs Jahre als Vorstandsvorsitzender der IKK Südwest sehr geprägt. Ich bin von der Stärke der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als stabile Säule unserer Gesellschaft überzeugt, um Gesundheitsleistungen zu bezahlbaren Preisen für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten.

Diese wichtige Aufgabe wird oft erst bewusst wahrgenommen und wirklich wertgeschätzt, wenn man beispielsweise den Blick ins Ausland wirft. So wie eine flächendeckende Krankenhausversorgung wird auch eine gute Krankenversicherung viel zu schnell als selbstverständlich angenommen. Dies ist es aber keinesfalls, sondern wir werden an den stabilen Säulen unserer Gesundheitsversorgung tagtäglich gemeinsam weiterarbeiten müssen.

Als Krankenkassenchef hatte ich vermutlich immer ein vergleichsweise großes Verständnis für eine gute Gesundheitsversorgung, Qualität im Gesundheitswesen und dem Engagement von Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachpersonen und allen Menschen in den Gesundheitsberufen. Um das Gesundheitswesen besser zu vernetzen und stärker patientenzentriert auszurichten habe ich mich stark für Digitalisierung, Bürokratieabbau und Innovationen eingesetzt.

Als BKG-Chef habe ich auch einen Blick dafür, dass das Gesundheitswesen bezahlbar bleiben muss, der Zugang zu Gesundheitsleistungen allen Versicherten offenstehen muss und die Krankenkassen auch das Recht haben, kritisch die Mittelverwendungen zu hinterfragen. Mit Sorge erlebe ich dagegen, dass gerade die Krankenhausabrechnungsprüfung der Krankenkassen zu dem kennzahlengestützten Wettbewerbsthema der Krankenkassen im Kostenmanagement untereinander geworden ist, wovon zumindest mittelfristig niemand etwas haben dürfte.

Letztlich bin ich überzeugt, dass Krankenkassen und Krankenhäuser ganz sicher "im gleichen Boot sitzen" und gemeinsam die Aufgabe haben, Versicherten für ihre Beitragszahlungen einen guten Krankenversicherungsschutz zu gewährleisten und Patientinnen und Patienten den Anspruch darauf haben dürfen, im Bedarfsfall die Gesundheitsleistung wohnortnah zu bekommen, die sie benötigen. Dies geht nur, wenn Krankenkassen nicht im Preiswettbewerb untereinander zerrieben werden und Krankenhäuser verlässliche und auskömmliche Rahmenbedingungen für ihre Aufgabe bekommen.

TK: Die finanzielle Situation der Kliniken ist ein Dauerthema. Das liegt zum Teil an der konstant niedrigen Investitionsquote der Länder, was gerade auch die DKG in ihrer jüngsten Bestandsaufnahme zur Investitionsfinanzierung kritisiert hat. Diese müsste dringend dauerhaft und zielgerichtet erhöht werden. Darüber hinaus regt die TK an, die Krankenhausfinanzierung neu zu denken und schlägt dafür folgende Ansatzpunkte vor: Ein neuer Mix aus Fallpauschalen, Vorhaltekosten und Qualitätszuschlägen, ein Abbau der Sektorengrenzen durch gleiche Vergütung der Leistungen, eine konsequente und durchgängige Digitalisierung. Bei welchen Punkten stimmen Sie zu?

Die Ergänzung von Fallpauschalen und Pflegebudgets um Vorhaltekosten und Strukturzuschläge ist sicher richtig.
Roland Engehausen

Engehausen: Es sollte ein Dauerthema werden, wie wir eine gute, qualitäts- und patientenzentrierte Krankenhausversorgung sicherstellen können. Dazu dient eine verlässliche Finanzierung.

Dies gilt einerseits für die Investitionsfinanzierung, die in Bayern immer noch besser ist, als in anderen Bundesländern, aber eben auch noch nicht ausreichend - übrigens auch mit Blick auf die kommenden digitalen Investitionsbedarfe nach dem Auslaufen der Maßnahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG). 

Und dies gilt ebenso für die Betriebskostenfinanzierung. Es ist sicher richtig, dass die Finanzierung der Behandlungskosten von tagesgleichen Pflegesätzen auf die Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups - DRG) umgestellt wurde. Aber so wie auch für die Krankenkassen der Morbi-RSA (morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich) ist auch das DRG-System für die Krankenhäuser immer komplizierter geworden und setzt auch manche Fehlanreize.

Daher ist eine Reform der Betriebskostenfinanzierung sicherlich geboten, wobei aus meiner Sicht an den neuen Pflegebudgets mit Blick auf die besondere Situation der Pflegefachpersonen unbedingt festzuhalten wäre. Die Ergänzung von Fallpauschalen und Pflegebudgets um Vorhaltekosten und Strukturzuschläge ist sicher richtig. Dabei wird es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen, die nicht noch komplexer werden darf. 

Auch die dringend notwendige Überwindung der Sektorengrenzen und eine durchgängige Digitalisierung ist sicher richtig und ich freue mich persönlich, die Krankenhäuser nun auch zukünftig im Beirat der gematik vertreten zu dürfen. 

Bei einer qualitätsorientierten Vergütung bin ich etwas skeptischer, denn es ist ein großer Unterschied, ob es um Struktur-, Prozess- oder Ergebnisqualität geht und ob die Qualität tatsächlich aus der Perspektive von Patientinnen und Patienten bewertet wird oder etwa nach reinen Statistikzahlen. Auch Zuschüsse aus Steuermitteln vom Bund für die GKV werden ja auf die Krankenkassen nicht nach Qualitätsmerkmalen wie etwa Widerspruchszahlen oder ähnliche Parameter verteilt. Bei der qualitätsorientierten Vergütung steckt sicher "der Teufel im Detail" und es bestünde sogar die Gefahr einer "Rosinenpickerei", d. h. eine Unterversorgung in der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die außerhalb von Qualitätszuschlägen lägen.

Gleichwohl finde ich es spannend, dass mit dem sogenannten Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) die Qualitätsverträge im stationären Sektor gestärkt werden sollen. Als BKG schlagen wir dazu Rahmenverträge vor und laden die Krankenkassen, gerne auch die TK, zu Gesprächen dazu ein. Beispielswiese könnte die Versorgung von Menschen mit Mehrfachbehinderung und bspw. auch Demenz über Qualitätsverträge gezielt verbessert werden. 

Völlig richtig und ein großes Zukunftsthema ist die Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung sowie mit der Nachsorge, Rehabilitation und Pflege. Darüber wird bereits seit Jahrzenten gesprochen. Mit der Telematikinfrastruktur (TI) werden dafür nun die Grundlagen deutlich verbessert und es wird in den nächsten Jahren darum gehen, dies gut für eine bessere Gestaltung der Gesundheitsversorgung aus Patientensicht zu nutzen. 

Wir sind davon überzeugt, dass unsere Krankenhäuser dabei eine Schlüsselrolle einnehmen können, auch bei "klinisch-ambulanten Leistungen", also ambulanten Leistungen, die im sicheren multiprofessionellen Setting eines Krankenhaues erfolgen sollten. Und für ein sog. "Integriertes Gesundheitszentrum" (IGZ) braucht es endlich verlässliche Finanzierungsgrundlagen in der Regelversorgung, um diese gute Idee auch über Modellprojekte hinaus mit Leben füllen zu können. 

TK: Im internationalen Vergleich haben wir in Deutschland sehr viele Operationen - auch eine enorme Anzahl an unnötigen Eingriffen. Bei den Rückenoperationen zeigt das TK-Zweitmeinungsangebot beispielsweise, dass vier von fünf Rücken-Operationen nicht notwendig sind. Was muss sich aus Ihrer Sicht an der Krankenhausstruktur ändern, damit Patientinnen und Patienten nicht unnötig stationär behandelt werden?

Engehausen: Es ist gut und richtig, dass Krankenkassen die Möglichkeit zu einer Zweitmeinung anbieten. Auch Krankenhäuser wirken dabei mit. Es gibt viele Erkrankungen, die mit unterschiedlichen Möglichkeiten behandelt werden können, wobei es nicht nur um die Frage geht, ob, sondern auch wie und wann operiert werden sollte. Umso mehr sich der medizinische Fortschritt entwickelt, umso größer werden auch die Behandlungsoptionen. Dies gilt bspw. bei Rückenproblemen.

Es ist richtig, dass in Deutschland im internationalen Vergleich teilweise mehr operiert wird, wobei nicht klar ist, ob es wirklich zu viele Eingriffe sind. Die OECD-Zahlen lassen durchaus unterschiedliche Interpretationen zu. Ob die Frage weniger operativer Eingriffe eine Frage der Krankenhausstrukturen ist, glaube ich eher nicht. Zur Vermeidung nicht oder noch nicht nötiger Operationen könnte aus meiner Sicht vielmehr ein besseres Lotsensystem, persönlich und digital (wie in manchen Innovationsfonds-Projekten erprobt) helfen.

Und wir brauchen endlich integrierte Gesundheitsdaten über die elektronische Patientenakte (ePA). Ich hoffe sehr, dass die ePA-Nutzung nach dem schlechten Start Anfang 2021 aufgrund der offenen Datenschutz- und Anmeldefragen nun endlich Fahrt aufnehmen wird und die Krankenkassen bei Ihren Versicherten dafür aktiv werben werden.

Wir brauchen endlich integrierte Gesundheitsdaten über die elektronische Patientenakte.
Roland Engehausen

TK: Über eine Reform der Notfallversorgung wurde in dieser Legislaturperiode viel diskutiert. Das ZI berichtet aktuell, dass weniger Patienten die Notaufnahmen der Kliniken aufsuchen und dass niedergelassene Haus- und Fachärzte mehr Notfälle übernehmen. Wie schätzen Sie die Situation aus bayerischer Sicht ein und was muss die anstehende Reform der Notfallversorgung Ihrer Meinung nach unbedingt beinhalten?

Engehausen: Die Krankenhäuser werden weiterhin sehr stark von den Patientinnen und Patienten als Anlaufstellen für Notfälle genutzt, gerade auch außerhalb üblicher Arbeits- und Praxisöffnungszeiten.

Die in Bayern schon recht gut etablierten Bereitschaftspraxen an Kliniken sollten aus meiner Sicht weiter ausgebaut werden. Eine digitale Datenunterstützung mit Ersteinschätzungsverfahren im Notfallwesen wird aus meiner Sicht kommen müssen. Wichtig ist aus Krankenhaussicht, dass dabei die bereits viele Jahre etablierten Verfahren in den Notaufnahmen der Krankenhäuser nach internationalen Standards berücksichtigt werden. Die digitalen Verfahren, die derzeit bei der "116117" im Einsatz sind, reichen dagegen für die Ersteinschätzung eines stationären Notfalles sicher nicht aus.

Die Notfallversorgung wird spätestens nach der Bundestageswahl wieder auf der Agenda einer besseren sektorenübergreifenden Zusammenarbeit stehen, wobei auch der Rettungsdienst eine wichtige Rolle spielen muss. Die Krankenhäuser sind bei der Notfallversorgung unerlässlich und stellen sich dieser Aufgabe seit langem, auch wenn diese leider oftmals unterfinanziert ist.

Für eine anstehende Reform wäre aus meiner Sicht wichtig, die Notfallversorgung am Patientenbedarf auszurichten und die Aufgaben innerhalb der Notfall-Versorgungskette klar zuzuordnen, digital durchlässig zu gestalten und auskömmlich zu finanzieren. Und aus meinen vorherigen Verantwortungen halte ich es zudem auch für sehr wichtig, stärker in die Vermeidung von Notfällen einzusteigen - bspw. in Pflegeheimen oder bei Menschen in schwierigen Lebenssituationen mit mehrfachen Notfalleinsätzen im Jahr. Dies könnte aus meiner Sicht auch für die Krankenkassen eine noch wichtigere Aufgabe werden. 

TK: Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin meldet, dass es ausreichend Kapazitäten an freien Intensivbetten und Beatmungsgeräten gibt, bundesweit aber 3.500 bis 4.000 Pflegefachkräfte in diesem Bereich fehlen. Wie ist die Lage in Bayern, welche personellen Tendenzen gibt es und wie kann die Lage verbessert werden? Welche Maßnahmen würden dafür sorgen, dass Kliniken generell pflegerisch weder unter- noch fehlversorgt sind?

Engehausen: Für den tatsächlichen Pflegepersonalbedarf in Bayern gibt es keine wirklich verlässlichen Zahlen. Leider wurde ein systematisches Pflegepersonalbemessungssystem bekanntlich noch nicht etabliert, obwohl in eindrucksvoller Gemeinsamkeit die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und die Gewerkschaften dem Bundesgesundheitsministerium mit der sog. Pflegepersonalregelung "PPR 2.0" ein fertiges, stimmiges und in der ersten Praxiserprobung bestens funktionierendes Konzept vor inzwischen weit über einem Jahr schon vorgeschlagen haben. Daher ist es gut, dass immerhin ein aktuelles Gesetz vorsieht, dass dies nach der Bundestageswahl angegangen werden soll.

Es ist aber unstrittig, dass der Bedarf an Pflegefachpersonen in Krankenhäusern und auch in der Altenpflege längst nicht gedeckt ist - mit Nachteilen für Patientinnen und Patienten und für alle dort Beschäftigten. Dies muss sich ändern und dies wird ein Langstreckenlauf. Mit der generalistischen Pflege, mit einer besseren Bezahlung, dem Pflegebudget und auch mit der gestiegenen Anerkennung für Pflegefachpersonen in unserer Gesellschaft - auch mit aktiver Werbung und Wertschätzung für die Pflegeausbildungsberufe - werden richtige Schritte gegangen.

Wir brauchen bessere Karrierechancen für Pflegefachpersonen.
Roland Engehausen

Es gibt bereits mehrere Programme wie bspw. zum Wiedereinstieg von der Vereinigung der Pflegenden in Bayern, die wir als BKG nachdrücklich unterstützen. Außerdem halten wir es für richtig, die Professionalisierung der Pflege weiterzuentwickeln mit weitergehenden Kompetenzen für Pflegefachpersonen sowie Akademisierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch gibt es derzeit bereits Pflegefachpersonen, die nach erfolgreicher Ausbildung anschließend studieren. Allerdings bisher oftmals in Managementstudiengängen mit anschließender Tätigkeit eher im Verwaltungs- als im Pflegebereich.

Wir brauchen aus meiner Überzeugung bessere Karrierechancen für Pflegefachpersonen auch innerhalb der originären pflegerischen Tätigkeiten. Dazu gehören ebenso die Aufgaben in der Intensivpflege, die gerade in den letzten Monaten besonders oft diskutiert wurden. In der ersten Welle der Pandemie haben die Krankenhäuser vom Staat den Auftrag bekommen, so schnell wie möglich Intensivbetten zusätzlich zu schaffen und die Krankenhäuser sind dieser Verpflichtung ebenso schnell und verbindlich nachgekommen.

Allerdings hat sich sehr frühzeitig gezeigt, dass ein Intensivbett alleine nicht wirklich hilft, wenn es nicht durch fachlich hoch qualifiziertes Personal betrieben werden kann. In den Kliniken wurden aufgrund der besonderen Pandemie-Situation Intensivpflegefachpersonen durch entsprechend qualifiziertes Personal von Normalstationen in interdisziplinären Teams ergänzt. Die Fachweiterbildung in der Intensivpflege dauert allerdings i. d. R. mehrere Jahre. Daher ist es eine große gesellschaftliche Aufgabe, die Arbeitsplatzattraktivität in allen Pflegeberufen zu stärken und die bereits laufenden Maßnahmen zu verstärken und insbesondere nachhaltig und längerfristig auszurichten.

TK: Welches Fazit aus der Corona-Pandemie ziehen Sie für die Zukunft der Krankenhauslandschaft in Bayern?

Engehausen: Wir können froh sein, dass sich das deutsche Gesundheitswesen mit seinen Beschäftigten und den gut funktionierenden Strukturen - und vor allem gilt dies auch für die Krankenhausversorgung - in der besonderen Corona-Situation so verlässlich gezeigt hat. Mit fortlaufender Pandemie und nun auch ganz aktuell bei den zunehmenden Long-COVID-Behandlungen zeigt sich der Bedarf einer wohnortnahen Versorgung. Eine Pandemie richtet sich nicht danach, wo in einer Großstadt ein Krankenhaus der Maximalversorgung steht, sondern es gab bekanntlich gerade in Bayern auch im eher ländlichen Raum, bspw. in den Grenzregionen, sog. Hotspot-Gebiete mit besonderen Herausforderungen in der Behandlung von Patientinnen und Patienten.

Die enge Zusammenarbeit der bayerischen Kliniken durch die koordinierenden Ärzte, regional wie auch überregional, hat hervorragend funktioniert. Dies ist die positive Erfahrung aus der Corona-Pandemie. Wie sehr manche bürokratische Regelung in dieser Zeit zudem verzichtbar war und ist, sollte uns nachdenklich und mutig machen, manche dokumentarischen Aufwände kritisch zu hinterfragen. Dabei haben in der Pandemie auch die Krankenkassen eine positive und von der BKG sehr anerkannte Rolle als verlässlicher Partner eingenommen, wofür wir dankbar sind. 

Den Schub der Digitalisierung - vom DIVI-Register über die TI-Nutzung bis zum digitalen Impfpass - sollten wir auch in den nächsten Jahren nutzen. Die Fortsetzung der guten Partnerschaft in der Selbstverwaltung in Bayern und die Vernetzung der Gesundheitsversorgung in der Pandemie wären aus meiner Sicht ebenfalls sehr wertvoll.

Gleichwohl bleiben auch die großen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik aus der Zeit "vor Corona" weiterhin bestehen. In den letzten Jahren hatte etwa jede zweite Klinik finanzielle Defizite zu verkraften, die von den Krankenhausträgern, in Bayern oftmals von kreisfreien Städte und Landkreisen, ausgeglichen werden mussten. Tendenz steigend.

Dies wird aus meiner Sicht in dieser Art und Weise in Zukunft kaum noch möglich sein. Nicht zwingend nötige Krankenhausstrukturen werden aufgrund mangelnder Finanzierung, aber auch aufgrund des zunehmenden Mangels an Fachkräften, vermutlich reduziert werden müssen. Dies darf aber nicht "kalt am Reißbrett" und ohne Blick auf die Versorgungssicherheit passieren. Bedarfsnotwendige Krankenhäuser müssen gerade im ländlichen Raum auch ohne spezialisierte Fachrichtungen auskömmlich finanziert werden.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel ist es dabei aus meiner Sicht wichtig, dass in Bayern nicht nur die wohnortnahe Krankenhausversorgung - auch bspw. als integriertes Gesundheitszentrum - flächendeckend sichergestellt bleibt. Auch die flächendeckende Ausbildung von medizinischen, pflegerischen und weiteren gesundheitlichen Berufen muss dadurch nachhaltig sichergestellt bleiben. Dies wird eine große gesundheitspolitische Kraftanstrengung und bleibt eine gesellschaftliche Herausforderung.

Die BKG hat sich mit eigenen gesundheitspolitischen Impulsen zur diesjährigen Bundestagswahl positioniert. Gerne verweisen wir zur Lektüre und Vertiefung unserer Forderungen auf das online verfügbare Papier.

Zur Person

Vor seinem Wechsel zur BKG nach München leitete Roland Engehausen (51) seit 2014 als Vorstandsvorsitzender die IKK Südwest, eine regionale Krankenkasse mit rd. 640.000 Versicherten in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen. In seiner beruflichen Laufbahn war Engehausen, der u. a. Wirtschaftswissenschaften an der FU Berlin studierte, für verschiedene Krankenkassen tätig, darunter auch für die Siemens BKK in München. Roland Engehausen twittert unter www.twitter.com/R_Engehausen.