MEINUNG

Wo liegen die Probleme und Chancen der Krankenhausreform für die Innere Medizin?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

3. Januar 2024

Prof. Dr. Georg Ertl

Wo liegen die Probleme und Chancen der Krankenhausreform? Weshalb die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) für eine stärkere Berücksich­tigung der Weiterbildung bei der Krankenhausreform plädiert und wo bei der Zusammenarbeit noch Luft nach oben ist – darüber sprach Medscape mit Prof. Dr. Georg Ertl, dem Generalsekretär der DGIM.

Medscape: Die Forderung der DGIM war, kleinere Krankenhäuser zu erhalten. Mit den Level-1i-Krankenhäusern taucht das Konzept auf der Webseite des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf. Wie zufrieden sind Sie damit – und wie sollte die Vernetzung mit ambulanten Einrichtungen aussehen?

Ertl: Im Prinzip sind wir damit zufrieden. Das Konzept stellt sicher, dass auch die kleinen Krankenhäuser ihren Platz finden. Ein entscheidender Punkt ist, dass sie sich für die ambulante Versorgung öffnen dürfen, an der es zum Teil gerade in ländlichen Regionen krankt. Wenn es gelingt, dort Praxen anzusiedeln, liegen darin große Chancen. Denn gerade die jetzige und auch die kommende Generation junger Ärztinnen und Ärzte will nicht mehr gerne das ökonomische Risiko der eigenständigen Praxis auf sich nehmen. Gerade in strukturschwachen Gegenden könnte man dies dadurch auffangen, dass man z.B. 10 Praxissitze, also KV-Sitze, ansiedelt. Dort sind dann selbstständige Ärzte tätig, aber eben auch viele angestellte Ärzte.

Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, die Betroffenen, also die kleinen Krankenhäuser, noch besser miteinzubeziehen. Das Vorgehen jetzt kam ein bisschen wie „von oben“ festgelegt an. Vielleicht hätte man von vorneherein geschickter vorgehen und hervorheben sollen, dass die konkrete Ausgestaltung bei den Krankenhausträgern liegt, dass die regionalen und lokalen Notwendigkeiten mitberücksichtigt und Netzwerke gebildet werden müssen.

Wobei „Netzwerke bilden“ nicht neu ist, das passiert bereits überall. Wir als Uniklinik hatten z.B. immer ein Netzwerk mit den umliegenden Krankenhäusern; wir haben uns regelmäßig ausgetauscht und gemeinsame Veranstaltungen organisiert.

Medscape: Wird das Thema Weiterbildung ausreichend berücksichtigt?

Ertl: Junge Kolleginnen und Kollegen werden in den Leistungsgruppen bislang nicht berücksichtigt, obwohl gerade Assistentinnen und Assistenten in den Kliniken wichtige Arbeit leisten. Oberärztinnen und Oberärzte müssen für die Weiterbildung Zeit und Raum haben – und auch die Verpflichtung, die Assistenten weiterzubilden. Zwar ist auch in den DRGs die Weiterbildung nicht berücksichtigt. Aber es geht uns doch auch um die Menschen, die die Medizin machen. Und wenn wir jetzt Gesetze machen, in denen diese jungen Leute nicht vorkommen, dann ist dies auch Ausdruck davon, dass ihre Arbeit nicht genug wertgeschätzt wird.

 
Es geht sehr viel in die richtige Richtung, da steht die DGIM auch dahinter. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Laut Leistungsgruppe gibt es z.B. 3 Infektiologen, die Assistenten kommen darin nicht vor. Die Berücksichtigung der Weiterbildungsassistenten ist eine Frage der Wertschätzung und ein Signal an die Krankenhausträger. Jeder Krankenhausträger weiß dann, dass sein Haus ohne Assistenten nicht funktioniert und wird auch weiter Assistenten einstellen.

Ein rein kommerziell ausgerichteter Träger würde vielleicht sagen: Dann stelle ich mir 3 Fachärzte ein, bekomme die entsprechende Leistungsgruppe und kann das Geld dafür kassieren. Deshalb dürften Leistungsgruppen nur gemeinsam mit weiterzubildenden Kolleginnen und Kollegen erbracht werden. Und neben der personellen braucht es auch eine finanzielle Berücksichtigung.

Medscape: Was geht bei der Krankenhausreform in die richtige Richtung – und wo sehen Sie Probleme?

Ertl: Es geht sehr viel in die richtige Richtung, da steht die DGIM auch dahinter. Wir sind dankbar, dass jemand diese Sachen anpackt. Die ganze Zeit wurde nur darüber geredet, wo die Probleme sind. Tatsache ist: Die Krankenhäuser gehen heute pleite. Nicht morgen, sie gehen heute pleite und müssen sich heute besser aufstellen. Die neue Gesetzgebung kann die Situation eigentlich nur verbessern.

 
Dass Vorhaltekosten der Kliniken finanziert werden, ist eine Forderung, die wir schon lange vertreten. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Beispiel Vorhaltekosten: Dass Vorhaltekosten der Kliniken finanziert werden, ist eine Forderung, die wir schon lange vertreten. Es ist z.B. typisch für Intensivstationen, dass sie nicht zu 100% ausgelastet sind, denn natürlich muss man freie Plätze für Patienten vorhalten. Im Schnitt sind Intensivstationen eben nur zu 60% ausgelastet. Insofern sind die Vorhaltekosten ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung, dass man dies berücksichtigt und nicht sagt: „Ihr müsst einfach DRGs liefern.“

Auch das Transparenzgesetz ist ein richtiger Schritt, weil es zeigt, welche Kliniken welche Eingriffe besonders gut durchführen können. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Krankenhaus 6-mal im Jahr eine OP durchführt, z.B. eine Pankreatektomie. Selbst wenn ein sehr erfahrener Arzt die Pankreatektomie durchführt – mit so geringen Fallzahlen verliert er diese Erfahrung auch irgendwann.

 
Auch das Transparenzgesetz ist ein richtiger Schritt, weil es zeigt, welche Kliniken welche Eingriffe besonders gut durchführen können. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Tatsächlich kann ambulant viel geleistet werden – wenn dies adäquat bezahlt wird. Allerdings berücksichtigen die Ambulanzverträge, die im vergangenen Jahre recht vorschnell geschlossen wurden, vieles nicht. Etwa, dass Patienten multimorbide sind und in Zukunft auch immer multimorbider sein werden, weil wir immer älter werden. Auch soziale Umstände müssen berücksichtigt werden – und genau das könnten diese kleinen Krankenhäuser bieten. Beispielweise, dass eine alte Dame, die alleine zu Hause lebt, nach einer Koloskopie in der Klinik dort über Nacht zur Überwachung bleibt.

Für die kleinen Fächer sehe ich in der Ambulantisierung aber durchaus gewisse Gefahren. Schaut man sich z.B. die Rheumatologie an: Sie braucht auch Betten. Für die Weiterbildung müssen also Betten auch für die ansonsten überwiegend ambulanten Fächer zur Verfügung stehen. Hier sind Gefahren, die zwar heute schon bestehen, sich aber verschärfen werden.

Medscape: Lässt sich schon absehen, welche Auswirkungen die neuen Leistungsgruppen auf die internistischen Stationen und ihre Organisation haben werden?

Ertl: Nein. Die Anzahl der Leistungsgruppen ist zu gering, das ist klar. Würde man aber zu Beginn gleich noch mehr und noch detailliertere Leistungsgruppen aufstellen, würde die Einführung vermutlich zu kompliziert. Nun ist die Situation so, dass z.B. die Angiologie bei den Leistungsgruppen gar nicht vorkommt. Es war auch leider nicht möglich, die Angiologie noch mit aufzunehmen. Es hieß, das müsse dann anders abgebildet werden usw.. Nun hängt sehr viel von der Umsetzung ab.

 
Für die kleinen Fächer sehe ich in der Ambulantisierung aber durchaus gewisse Gefahren. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Ein ärztlicher Direktor wird bestimmte Fächer in seiner Klinik nicht einfach abschaffen, nur weil sie nicht in einer Leistungsgruppe abgebildet sind. Die Patienten sind ja da. Der Anfall der Patienten wird diktieren, was in den Kliniken läuft. Und man wird feststellen: Ich kann diese Patienten nicht mehr behandeln, die sind nicht finanziert. Das wird vielleicht paar Jahre so gehen, aber dann wird man wohl die Leistungsgruppen anpassen müssen. Wichtig ist, die Leistungsgruppen perspektivisch weiterzuentwickeln.

Medscape: Wünschen Sie sich eine stärkere Einbindung der Fachgesellschaften in den Reformprozess? Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit von Politik und Fachgesellschaften?

Ertl: Formal ist das alles bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) angesiedelt, darüber werden die Fachgesellschaften auch intensiv einbezogen. Aber hier gibt es Grenzen, und die Dinge müssen dann auch politisch umgesetzt werden. Und dort ist es dann oft vorbei mit der Einbeziehung.

 
Wichtig ist, die Leistungsgruppen perspektivisch weiterzuentwickeln. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Ein Beispiel ist für mich der erwähnte Ambulanzvertrag: In diesem Vertrag ist vieles nicht berücksichtigt worden. Und hier hätte man wirklich die Fachgesellschaften einbeziehen müssen, damit Aspekte wie Komorbiditäten oder auch Kontextfaktoren, die bei der ambulanten Behandlung eine große Rolle spielen, berücksichtigt werden. Wir werden einbezogen, aber da ist noch Luft nach oben.

Medscape: Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, was müsste jetzt auf den Weg gebracht werden?

Ertl: Stichwort Ent-Ökonomisierung und Kostendämpfung. Ich glaube, dass eine wissenschaftlich begründete Medizin durch ökonomische Anreize gefördert werden sollte. Der Vorwurf an die Medizin, dass manche Mehr-Leistungen aus ökonomischen Gründen gemacht werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Es gibt Regionen, in denen sehr viele Hüften implantiert oder sehr viele Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt werden. Wenn man dies verhindern will, braucht man ökonomische Anreize für eine wissenschaftlich begründete Medizin.

 
Ich glaube, dass eine wissenschaftlich begründete Medizin durch ökonomische Anreize gefördert werden sollte. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Ein wesentlicher Aspekt unserer Initiative „Klug entscheiden“ ist, dass man Leistungen auch mal nicht macht, z.B. eine Hüfte nicht operiert, weil der Patient noch lange gut zurechtkommen wird. Unser Vorschlag in diesem Zusammenhang lautet: „Gut bezahlen für Klug entscheiden“. Ich glaube, dass ohne einen solchen Ansatz eine wirkliche Ent-Ökonomisierung nicht stattfinden wird.

Wichtig ist jetzt, auch das Kliniksystem zu entbürokratisieren. Was wir im Moment mit DRGs und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen erleben, ist unglaublich; und das zieht sich durch die gesamte stationäre Versorgung. Auf beiden Seiten gibt es dazu einen Riesen-Personalstab, dieses Personal könnte man sehr gut anderswo einsetzen.

Ein sehr wichtiger Aspekt ist die Zufriedenheit des Personals. Und diese Zufriedenheit hängt nicht in erster Linie von der Bezahlung ab. Klar, man kann immer mehr verdienen, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist: Die Ärzte wollen mehr am Patienten arbeiten, die Pflege möchte das auch. Alle wollen gut weitergebildet werden, dazu gehört lebenslanges Lernen und für den ärztlichen Bereich vor allem eine gut strukturierte Weiterbildung.

 
Wichtig ist jetzt, auch das Kliniksystem zu entbürokratisieren. Prof. Dr. Georg Ertl
 

Natürlich gehört eine gewisse Bürokratie dazu; man muss dokumentieren, was man am Patienten gemacht hat. Aber gerade hier wären eine Riesenhilfe die elektronische Patientenakte und dazu noch vernünftige, kompatible Krankenhausinformationssysteme (KIS) – wenn diese in allen Krankenhäusern finanziert wären.

Doch die Finanzierung der KIS ist nicht gewährleistet, das Problem ist, dass die Länder ihren Finanzierungsverpflichtungen nicht nachkommen. Auch die Krankenhausinformationssysteme fallen unter Investitionen – die kann man nicht über die DRGs erwirtschaften.

Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

 

Kommentar

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