Wie sinnvoll ist eine Sozialgerichtsklage?

Richter

© yayayoyo

Krankenhäuser tun sich traditionell schwer mit dem Klageweg bei Abrechnungsstreitigkeiten. Die Umfragen von Medinfoweb, welche 2017 leider eingestellt wurden, zeigten eine Klagequote zwischen 0,5 und 1,5 % der Gesamtzahl der MD-Prüfungen. Die Gerichte beschwerten sich  in der Vergangenheit allerdings regelmäßig über die “Klagefreude”. Wie sind eigentlich die Ergebnisse? Sollten Krankenhäuser eher mehr oder weniger klagen?

Wir versuchen eine Antwort.

Belastung der Gerichte

Offene Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit. Quelle: Destatis.de

Zunächst ein Wort zur Belastung der Sozialgerichte: Destatis (statistisches Bundesamt) publiziert die Anzahl anhängiger Verfahren ohne Unterscheidung nach Sachgebiet (wir interessieren uns bekanntlich überwiegend für “KR”: Krankenversicherung). Hieraus geht hervor, dass die Anzahl Verfahren in den letzten 15 Jahren immer zwischen 440 und 500 Tausend schwankte.

Seit 2013 geht der Trend eindeutig nach unten: Es werden mehr Fälle erledigt, als Neuzugänge dazu kommen. Im Jahr 2018 stieg die Anzahl Fälle einmalig sprungartig an. Seinerzeit scheuchte die (rückwirkende!) Verkürzung der Verjährungsfrist für Krankenhausrechnungen die Meute auf.

Seitdem sinkt die Anzahl Verfahren wieder stetig: Die Gerichte sind offenbar keineswegs überlastet.

Wer klagt?

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Klagende Parteien. “Sonstige” sind einzelne Ärzte, Rettungsdienste, Behörden usw. Quelle: Destatis

Die Quelle für alle nachstehenden Zahlen und Statistiken ist Destatis.de und sie beziehen sich ausschließlich auf das Jahr 2021 und auf das Sachgebiet “Krankenversicherung” (KR).

Das Sachgebiet KR umfasst nur 24 % der gesamten Arbeit beim Sozialgericht. Der größte Brocken ist seit vielen Jahren die Unterstützung von Arbeitslosen (heute korrekt “Arbeitsuchende” genannt): SGB II.

Leider unterscheidet Destatis nicht zwischen Klagen von Leistungsberechtigten (meist Krankenhäuser) und Versicherten. Andere Publikationen zeigen, dass die Anzahl Klagen durch Patienten durchaus wesentlich ist. Nachfolgend können sie aber nicht “herausgefiltert” werden.

Die meisten Klagen zur Krankenversicherung (67 %) werden von den Leistungserbringern oder vom Patienten selbst eingeleitet.

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Wie endet die Klage?

Nur wenige Fälle werden vom Gericht entschieden. In 32 % gibt der Kläger auf.

Nachfolgend haben wir der Einfachheit halber angenommen, dass die Krankenhäuser / Patienten immer Kläger sind. Nur 14 % der Fälle bekommt ein Urteil, oder einen Gerichtsbescheid und wird tatsächlich vom Gericht entschieden. Weitere 23 % münden in einen Vergleich. 20 % endet durch Anerkenntnis, was in der Regel bedeutet, dass  Krankenhaus / Patient obsiegen. Deutlich mehr, nämlich ein Drittel der Fälle, endet durch Klagerücknahme. Das bedeutetet, dass die klagende Partei keine Hoffnung mehr hat und aufgibt.

Die 12 % “Sonstige” umfassen u. a. Fallzusammenlegungen, ruhend gestellte Fälle und Verweise an andere Gerichte.

Das Gericht urteilt meistens zum Nachteil eines klagenden Krankenhauses

Wenn es denn zu einem streitigen Urteil  oder Gerichtsbescheid kommt, sieht das Ergebnis für die Kläger ziemlich schlecht aus.

In nur jedem 5. Fall obsiegt die klagende Partei, in der Regel geht der Fall komplett verloren. Hier sei noch angemerkt, dass Berufungen auch nicht besser laufen: 80 % wird in der zweiten Instanz abgewiesen!

Was das bedeutet

In ca. 43 % der Klagen erreicht das Krankenhaus überhaupt nichts. In ca. 66 %  der Fälle geht zumindest ein Teil der Streitsumme für das Krankenhaus verloren. Nur in 1/3 der Fälle endet das Abenteuer so, wie es geplant war. Das ist kein akzeptables Ergebnis: Hier kann und muss nachgebessert werden!

Was kann man tun? Eine Empfehlungsliste in Kurzfassung:

  • Ich bin mir meiner Sache sicher

    Es empfiehlt sich keineswegs, eine Klage einzureichen, “nur um mal zu schauen, wie weit man kommt”. Wie weit das meistens ist, können Sie oben nachlesen! Die entscheidende Überlegung ist: “Wenn ich den Fall einem medizinischen Laien (z. B. Jurist) vorlege, bin ich dann überzeugend?” Werfen Sie kein gutes Geld dem schlechten hinterher!

  • Regelverstöße

    Es ist für Ihre Sache hilfreich, wenn sich Kassen oder MD über Regeln hinweg setzen. Allerdings ist es meistens keine gute Idee, eine Klage ausschließlich auf Regelverstöße ohne echten inhaltlichen Vortrag zu stützen. Gerichte entscheiden nur sehr ungern aufgrund von regelwidrigem Verhalten gegen die Kasse und für Sie, wenn Sie eigentlich Unrecht haben!

  • Transparent sein

    Sorgen Sie dafür, dass Ihr Gegenüber (die Kasse) Ihre Argumente und Gründe genau kennt, bevor Sie in den Kampf ziehen. Nichts Anderes soll die Erörterung bewirken und das ist auch vollkommen richtig so.  Wenn Sie außergerichtlich überzeugen können, sparen Sie sich und anderen eine Menge Arbeit, Geld und Zeit. Das funktioniert am Besten, wenn Sie offen sind. Die “überraschende Wendung” im Verfahren ist nur im Fernsehen hilfreich!

  • Realistische Forderung

    Wenn Sie mit einem Teil der Streitsumme zufrieden wären (z. B. Kürzung von 5 statt 10 Langliegerzuschlägen), sollten Sie die Rechnung dahingehend ändern (oder zumindest die Streitsumme entsprechend reduzieren). Sie sollten keine “Verhandlungsmasse” einbauen: Die Verfahrenskosten richten sich nach dem Streitwert. Wenn Sie verhandeln wollen, tun Sie das vor der Klage.

  • Eigenständig entscheiden

    Die Entscheidungen über Einleitung und Führen einer Klage sollten von Profis getroffen werden. Damit meinen wir nicht nur Anwälte! Ein Medizincontroller kann am besten einschätzen, wie ein medizinischer Sachverständiger denken würde. Die kritische Frage ist oft: Was wird ein Sachverständiger ungefähr schreiben? Darauf baut eine Klageentscheidung auf. Man sollte sich auch nicht zu schnell beeindrucken lassen, wenn das Gericht durchblicken lässt, dass Ihr Vortrag nicht so überzeugend war. Richter schreiben nicht so gerne Urteilsbegründungen und freuen sich über eine Klagerücknahme.

    Also: Medizinische Fragen krankenhausintern beantworten, rechtliche Fragen mit der Rechtsvertretung besprechen. Dabei ruhig selbstsicher sein!

  • Nicht reinreden lassen

    Um den vorherigen Punkt nochmal zu unterstreichen und zu verdeutlichen: Die professionelle Entscheidung sollte ausschließlich Erfolgsaussichten und finanzielles Risiko berücksichtigen. Das bedeutet, dass man sich häufig nach Abwägung gegen eine Klage entscheiden wird. Dabei sollte man sich nicht vom Chefarzt reinreden lassen: Der behandelnde Arzt ist oft persönlich betroffen, weil seine/ihre Behandlung kritisiert wird. Das ist eine verständliche aber keine hilfreiche Gemütslage. Gleiches gilt für die Krankenhausleitung: Eine (sehr) hohe Streitsumme bedeutet nicht automatisch, dass man klagen sollte. Oftmals ist die hohe Summe sogar eher ein Argument dagegen!

  • Handtuch werfen

    Wenn die Angelegenheit nicht so läuft, wie sie sollte, muss man auch loslassen können. Manchmal ist z. B. der Sachverständige nicht so sachverständig, wie er sein sollte. Es lohnt meistens nicht, noch ein zweites oder drittes Mal zu widersprechen. Das Gericht wird in der Regel dem Gutachter folgen und der ist meist nicht erziehbar. Daher: Mit der Faust in der Tasche aufgeben ist besser als noch mehr Zeit, Geld und Nerven in die verlorene Sache zu investieren.

Um die anfangs aufgeworfene Frage zu beantworten: Wir sehen keine Hinweise auf übertriebene oder gar riskante “Klagefreude” bei den Krankenhäusern. Allerdings sind die Ergebnisse der Klagen so schlecht, dass die Qualität der Entscheidungen rundum dem Klageweg womöglich verbessert werden kann. Also: Man sollte nicht unbedingt mehr oder weniger, sondern besser klagen.

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