1. Startseite
  2. Region
  3. Hanau

Klinikum Hanau braucht viele Millionen Euro als Finanzspritze

KommentareDrucken

Mit einer großen Reform soll die Finanzierung der Krankenhäuser wie des Klinikums Hanau neu aufgestellt werden.
Mit einer großen Reform soll die Finanzierung der Krankenhäuser wie des Klinikums Hanau neu aufgestellt werden. © Reinhard Paul

Seit Langem schlagen die Kliniken landauf, landab Alarm, weil ihnen Geld fehlt, weil die Lauterbachsche Krankenhausreform hängt, die eigentlich Entlastung bringen soll. Auch das Klinikum Hanau ist finanziell in Schieflage.

Hanau – „Uns läuft die Zeit davon“, sagt Dr. Maximilian Bieri (SPD), „die Zeitschiene ist der kritische Faktor“. 2022 hat bereits gut die Hälfte der deutschen Kliniken rote Zahlen geschrieben, voriges Jahr waren es gar 78 Prozent, dieses Jahr sollen es über 80 Prozent sein. Das Klinikum Hanau gehört dazu. Im vergangenen Jahr waren 14 Millionen Euro an Miesen veranschlagt. „Wir werden wohl bei einem Defizit von unter 10 Millionen Euro landen“, sagt Bürgermeister Bieri, der seit Jahresbeginn auch als Klinikdezernent und Aufsichtsratsvorsitzender fungiert.

Ein schwacher Trost, zumal im laufenden Jahr auch die jüngsten Tarifsteigerungen eingepreist werden müssen. Die Personalkosten machen allein zwei Drittel des Etats aus. 13 Millionen Euro sind darum im aktuellen Doppelhaushalt zusätzlich fürs Klinikum eingestellt – allein für 2024.

Klinikum Hanau: Pauschalen für Investitionen reichen nicht aus

Und dann? „Das müssen wir sehen“, sagt Bieri, der den Posten in Zeiten übernommen hat, die noch nie so schwierig waren für Krankenhäuser wie jetzt. „Wir stehen aber fest zum städtischen Klinikum“, betont der 33-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung mehrfach. „Dessen Zukunft ist nicht verhandelbar“, man werde alles für den Erhalt des kommunalen Hauses tun – „whatever it takes“, formuliert Bieri. Mit Blick auf die Finanzierung im Jahr 2025 sagt der Bürgermeister: „Wenn wir reagieren müssen, werden wir reagieren.“

Wie schwierig die Lage ist, wurde dieser Tage am Beispiel des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau offenbar. Der Standort Wasserlos wird künftig weitgehend ambulant betrieben. Um ihn überhaupt zu erhalten, werden die Notaufnahme sowie die innere und chirurgische Abteilung gestrichen. Notfallpatienten kommen in die umliegenden Krankenhäuser, etwa nach Aschaffenburg, Hanau oder Gelnhausen.

Dass die Krankenhäuser am Tropf hängen, habe mit den gestiegenen Kosten für Medizintechnik, Medikamente, Energie und Personal zu tun, so Klinikum-Geschäftsführer Volkmar Bölke. „Vor Corona haben wir immerhin schwarzen Zahlen geschrieben“, erinnert Bieri. Aber in der Folgezeit seien die Fördermittel bei Weitem nicht in dem Maße gestiegen wie die Betriebskosten.

Für ihre Finanzierung erhalten die Krankenhäuser Geld aus zwei Quellen: Investitionen in Gebäude und Medizintechnik sollen von den Bundesländern getragen werden – die aber ihrer Verpflichtungen nicht ausreichend nachkommen, so die Kritik der Träger. Die gezahlten Pauschalen reichen laut Klinikdezernent und Geschäftsführer hinten und vorne nicht aus. Bieri: „Das macht Zukunftsplanung schwer.“

Immerhin die Hälfte der jährlich zugewiesenen Fördermittel von acht Millionen Euro fließen am Klinikum Hanau in die turnusmäßig notwendige Erneuerung des medizinischen Geräteparks. Dass dieses Jahr Investitionen von 15 Millionen Euro – unter anderem für einen neuen Kreißsaal und Digitaltechnik – geschultert werden, sei nur möglich, so Bölke, weil Mittel aus Vorjahren übertragen werden konnten.

Die laufenden Betriebskosten der Kliniken werden von den Krankenkassen über die vielfach kritisierten Fallpauschalen finanziert.

Dass es eine Krankenhausreform braucht, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Weg gebracht hat, darüber sind sich (fast) alle einig. Sie wird die Krankenhauslandschaft gehörig umkrempeln. Grundprinzip: Die Fallpauschalen spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Ein großer Teil der Vergütung soll für das Vorhalten von Personal und Medizintechnik erfolgen. Dabei sind Anforderungen an Qualität und Medizintechnik zu erfüllen.

Im Elektrophysiologie-Labor werden Herzrhythmusstörungen behandelt. Rund 500 Eingriffe pro Jahr werden dort vorgenommen. In das Labor, das im Sommer 2021 in Betrieb ging, investierte das Klinikum 1,6 Millionen Euro.
Im Elektrophysiologie-Labor werden Herzrhythmusstörungen behandelt. Rund 500 Eingriffe pro Jahr werden dort vorgenommen. In das Labor, das im Sommer 2021 in Betrieb ging, investierte das Klinikum 1,6 Millionen Euro. © Reinhard Paul

Durch die Vorhaltepauschalen soll der Anreiz entfallen, Kapazitäten etwa durch viele Hüft- oder Knie-Operationen auszulasten. Es zeichnet sich aber auch ab, dass es zukünftig nicht mehr überall alles geben wird, Patienten für planbare Operationen mitunter spezialisierte Kliniken aufsuchen müssen. Die Kriterien für die geplante Einstufung von Leistungen sind ebenso vielfältig und kompliziert wie umstritten. Welche Auswirkungen das genau haben wird, ist schwer abzusehen. Es werden aber auch in Hanau, wo es mit dem Klinikum und dem St.-Vinzenz-Krankenhaus zwei Kliniken gibt, womöglich nicht mehr alle planbaren medizinischen Eingriffe angeboten werden.

Im Zuge der Reform sollen die Kliniken nach bestimmten Leveln eingestuft werden: Umfassende ausgestattete Maximalversorger im Level 3, auf bestimmte Fachgebiete spezialisierte Krankenhäuser im Level 2 sowie auf der unteren Ebene nochmals unterteilte Klinken der Basisversorgung.

Mehr als 100 000 Patienten werden pro Jahr im Klinikum Hanau behandelt

Von der Größe und Leistungsfähigkeit her sieht sich das Klinikum Hanau „gut aufgestellt“, sagt Geschäftsführer Bölke. Man strebe Level 3 an. Ob das so kommt, ist freilich offen wie noch so vieles an der Reform. Deren Umsetzung klemmt unter anderem am sogenannten Krankenhaustransparenzgesetz, das Basis sein soll für eine geplante Veröffentlichung von Leistungsdaten der Krankenhäuser. Daran sollen Patienten erkennen können, wie eine Klinik hinsichtlich ärztlicher und pflegerischer Qualität abschneidet.

In Kürze soll das Reformgesetz in Berlin angeblich wieder aufs Tapet kommen. Vor allem an einer Koppelung von Transparenzgesetz und Finanzierungszusagen stoßen sich die Krankenhausträger. Nur wenn beides im Paket durchkommt, soll es das so dringend benötigte Geld geben. Die Zeit spielt gegen die Kliniken, von denen immer mehr die Luft ausgeht. Allein im Januar gingen laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) sechs Häuser in die Insolvenz, im Vorjahr waren es insgesamt 34.

In diesem Jahr könnten es bis zu 80 werden, befürchtet die DKG. „Es sieht fast so aus, als sei es gewollt, dass es zu einem unkontrollierten Kliniksterben kommt“, kritisiert Bieri in Richtung Berlin. „Das ist die falsche Herangehensweise.“

Rund 1800 Beschäftigte hat das Klinikum Hanau, mit Tochtergesellschaft sind es um die 2100. Sie versorgen mehr als 100 000 Patienten pro Jahr – in jüngster Zeit „so viele davon ambulant wie noch nie“, sagt Geschäftsführer Bölke. Auch das eine Entwicklung aus Kostengründen, weil immer mehr Eingriffe laut Leistungskatalogen nicht mehr stationär abgerechnet werden dürfen.

St.-Vinzenz-Krankenhaus Hanau wird über Verbund finanziert

Kostensteigerungen spürt auch das katholische St.-Vinzenz-Krankenhaus. Für 2023 gehe die Geschäftsleitung von einem leichten Defizit aus, heißt es auf Anfrage. 2022 habe ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt werden können. Konkrete Zahlen nennt das Krankenhaus nicht.

Im Gegensatz zu kommunalen Kliniken erhält das St.-Vinzenz als frei-gemeinnütziger Träger keine Unterstützung aus Steuermitteln oder von anderer Stelle. „Unsere Stärke liegt darin, dass wir mit der Vinzenz-Gruppe Fulda einem großen Verbund mit fünf Krankenhausstandorten und weiteren Einrichtungen (Altenpflege, Kindertagesstätten und ein Hospiz) angehören“, sagt Geschäftsführer Michael Sammet. Grundsätzlich seien die Standorte auf Gewinne angewiesen. Verzeichneten dennoch einzelne Kliniken des Verbundes vorübergehend Verluste, müssten diese von den anderen Standorten übernommen werden.

Das St.-Vinzenz-Krankenhaus verfügt über 320 Betten und beschäftigt rund 700 Mitarbeiter am Standort Hanau. Jährlich werden im Vinzenz etwa 24 000 Patienten ambulant und bis zu 12 000 stationär behandelt.

Um den jährlichen Kostensteigerungen zu begegnen, ist aus Sammets Sicht ein schnelles Handeln unerlässlich: „Ein Warten auf die Krankenhausreform ohne ein Vorschaltgesetz mit einem Inflationsausgleich bedeutet einen kalten Strukturwandel. Es überleben die Kliniken, die besonders finanzkräftig sind beziehungsweise öffentlich subventioniert werden, unabhängig davon, wie gut ihre Marktposition und Versorgungsqualität ist.“

Als einen wichtigen Baustein der Reform sieht Sammet die Vorhaltefinanzierung. Die bisherigen Entwürfe von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lösen aus seiner Sicht jedoch die aktuellen Probleme nicht – „ganz im Gegenteil, sie führen lediglich zu mehr Bürokratie und Fehlanreizen“. Dies zeige auch eine Auswirkungsanalyse, die im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft durchgeführt wurde. Demnach seien die Erlöse eines Krankenhauses weiterhin sehr stark von der Anzahl der Patienten abhängig, die Vorhaltefinanzierung stelle keine Existenzsicherung für Grundversorgungskrankenhäuser in ländlichen Gebieten dar.

Auch die geplante Level-einteilung sieht der Vinzenz-Geschäftsführer kritisch: „Relevant ist nur die Frage, ob eine Klinik ein Level-1i-Haus ist und somit an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Der Bundesgesundheitsminister besteht weiterhin auf eine mehrstufige Leveleinteilung, um große Häuser in den Fokus der Wahrnehmung zu rücken. Über die Qualität der Versorgung sagt das Level allerdings nichts aus, ebenso wenig hat die Zuordnung einen Einfluss auf die erbrachten Leistungen und deren Finanzierung.“

Von Christian Spindler und David Scheck

Auch interessant

Kommentare