"Es fühlt sich an, als ob wir auf einen Tsunami warten. Und wir wissen nicht, wann er kommt." Dieses Gefühl, mit dem eine Oberärztin aus dem westlichen Niedersachsen gerade täglich zur Arbeit ins Krankenhaus geht, teilt sie mit vielen Kolleginnen und Kollegen. Denn trotz aller Corona-Alarmmeldungen herrscht an vielen Kliniken derzeit noch eine ungewöhnliche Ruhe. Ob man in Hamburg oder Tübingen nachfragt, in Krankenhäusern in Bayern, in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen: Überall ist zu hören, dass die Flure der Notaufnahmen auffallend leer seien, dass Patienten von sich aus geplante Operationen absagten. Doch der Eindruck ist trügerisch. Die Lage ähnelt eher dem Moment, in dem der Tsunami das Wasser vom Strand zieht, bevor die Welle eintrifft.

Doch zugleich ist das ein guter Zeitpunkt, um sich vorzubereiten. Was in den Krankenhäusern zu tun ist, haben die Bundesregierung und die Länder am Dienstagabend in einem "Grobkonzept Infrastruktur Krankenhäuser" vorgegeben. Im Kern geht es darum, mehr Platz für Corona-Kranke zu schaffen, auch mit ungewöhnlichen Methoden. Patienten, die weniger schwer erkrankt sind, könnten danach in "Rehabilitationseinrichtungen, Hotels oder größeren Hallen" behandelt werden. Zugleich soll die Zahl der Intensivbetten verdoppelt werden. Soweit der Plan. 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat angekündigt, man könne die Zahl der Intensivbetten "in einigen Wochen" um bis zu 20 Prozent aufstocken, von derzeit bundesweit 28.000 auf dann 34.000 Betten. So sagte es DKG-Präsident Gerald Gaß ZEIT ONLINE. Doch klar ist schon jetzt, dass das nicht genügen wird. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir bei der aktuellen Lage nicht nur in optimalen Strukturen denken dürfen." Soll heißen: Manche Behandlungsplätze werden nicht so ideal ausgestattet sein, wie das bislang üblich ist. Aber Patienten sollen dort intensiver behandelt werden können als auf Normalstationen. Allerdings seien Betten und deren Ausstattung nicht das größte Problem, fügte Lothar Kratz von der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen gegenüber ZEIT ONLINE hinzu: "Das zugehörige Personal, da kann es schwierig werden."

Auch Uwe Janssens hält den Plan der Bundesregierung für "etwas unscharf". Janssens ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). "Es handelt sich bei intensivpflichtigen Covid-19-Patienten in der Regel um schwer erkrankte Menschen, die an ihrer Seite eine hohe qualitative und quantitative Betreuung benötigen", sagte Janssens ZEIT ONLINE. Gleichzeitig müssten die alltäglichen Notfälle vom Verkehrsunfall bis zum Herzinfarkt ebenfalls intensivmedizinisch betreut werden. Angesichts der schon heute herrschenden Knappheit an Intensivpflegerinnen könne er sich nur schwer vorstellen, was eine Verdopplung der Intensivbetten zu bedeuten habe.

Plan und Praxis sind also noch weit voneinander entfernt, obwohl zuständige Politiker schon länger drängen. Am vergangenen Freitag hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Brief an die Geschäftsführer aller Krankenhäuser in Deutschland geschrieben. Darin hatte er sie dringend aufgefordert, planbare Operationen und Eingriffe "jetzt" zu verschieben. Die Kliniken sollten "jetzt" planen, wie sie Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal einsetzen, "sodass die Durchhaltefähigkeit der Intensiv- und Beatmungsbetten in Ihren Kliniken gestärkt wird". Auch DKG-Präsident Gaß fordert, alle Krankenhäuser müssten sofort von Normalbetrieb auf Notfall umschalten: "Hier darf es keinen Zeitverzug geben."

Ärzte erwarten einen Ansturm

Einige Kliniken haben auch sofort alle Operationen und Behandlungen abgesagt, die "elektiv", also nicht unmittelbar notwendig sind. Andere Häuser, beispielsweise in Dortmund, wollen ihr Elektiv-Programm jedoch langsam "ausschleichend beenden", teilte ein Ärztlicher Direktor seinen Mitarbeitern in einem internen Schreiben mit.

Dabei wäre es auch für die Beschäftigten wichtig, noch einmal kurz Luft zu holen und Reserven aufzubauen, bevor der Stress beginnt. Die Leitung der niedersächsischen Klinik, in der die Oberärztin mit dem Tsunami-Gefühl arbeitet, habe alle Mitarbeiter nach Hause geschickt, die nicht unbedingt gebraucht werden, berichtet die Ärztin. Sie sollen Überstunden abbauen, von denen jeder reichlich angesammelt habe. Zugleich sollen die Ärztinnen und Ärzte der verschiedenen Fachabteilungen Teams bilden, die abwechselnd arbeiten und sich gegenseitig möglichst wenig begegnen. So soll die Ansteckungsgefahr verringert werden. Wie lange dieses Prinzip allerdings durchzuhalten sein wird, wenn die ersten Ärzte selbst infiziert sind, ist offen.