(16.1.2020) Die intensivmedizinische Komplexbehandlung (Kode 8-980 (OPS)) erforderlt eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation. Diese ist nicht gegeben, wenn ein Arzt auf der Intensivstation nicht durchgehend anwesend ist. Denn alle Mitgliedern des Teams und damit auch der auf der Intensivstation diensttuende Arzt müssen den aktuellen Gesundheitszustand aller Patienten der Intensivstation gleichzeitig kennen. Dazu muss der diensttuende Arzt in das Team der Intensivstation eingebunden sein, was nicht mehr der Fall ist, wenn im Nachtdienst und am Wochenende der diensthabende Anästhesist der Intensivstation auch mit der Aufgabe betraut ist, in Notfallsituationen bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes tätig zu werden. Deshalb muss die Klinik die entsprechenden Entgelte aus solchen Wochenenddiensten (rund 200.000 €) an die klagende Krankenkasse zurückzahlen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.7.2019 - L 10 KR 538/15). 

Krankenhausflur- wo ist der Arzt?Von einer ständigen ärztlichen Anwesenheit kann nicht gesprochen werden, wenn ein Arzt auf der Intensivstation nicht durchgehend anwesend ist, so das LSG in seiner Begründung. Soweit in den Auslegungshinweisen des DIMDI der Arzt die Intensivstation auch verlassen könne, wenn er nur innerhalb kürzester Zeit handlungsfähig am Patienten sei, ist zugleich in den Erläuterungen geregelt, dass eine ständige Anwesenheit dann nicht anzunehmen ist, wenn der Arzt neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle weitere Aufgaben übernehmen muss, wie etwa, eine Normalstation zu betreuen. Eine Gewährleistung der ständigen ärztlichen Anwesenheit ist nur bei einer dies unter allen vorhersehbaren Umständen sicherstellenden, speziell auf die Intensivstation bezogenen, Dienstplanung des Krankenhauses gegeben.

Diesen Anforderungen genügte die personelle Besetzung der interdisziplinären Intensivstation des M-hospitals, in der die genannten 18 Versicherten der Klägerin behandelt wurden, im streitigen Zeitraum nicht. Die Klinik hat das ihr zustehende Organisationsrecht 2010 und 2011 dergestalt ausgeübt, dass sie im Nachtdienst und am Wochenende den diensthabenden Anästhesisten der Intensivstation auch mit der Aufgabe betraut hatte, in Notfallsituationen bis zum Eintreffen des Hintergrunddienstes tätig zu werden. Damit war der auf der Intensivstation tätige Anästhesist planmäßig auch im Rahmen von Notfalloperationen bzw geburtshilflichen Notsituationen bis zum Eintreffen des Rufdienstes eingesetzt. Insoweit waren auch nicht nur außerpanmäßige Notfallsituationen sondern vielmehr sämtliche Notfälle erfasst. Soweit im Falle der Abwesenheit des anästhesistischen Intensivmediziners der internistische Intensivmediziner tätig werden sollte, genügte dies an den Nacht- und Wochenenddiensten nicht dem Merkmal "ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation". Wie der Beklagte ausdrücklich eingeräumt hat, war der für die Intensivstation zuständige Internist während dieser Dienste auch für Aufgaben auf den peripheren Normalstationen eingeteilt. Daher konnte es planmäßig zu Situationen kommen, in welchen die Intensivstation für 15 bis 20 Minuten nicht mit einem Arzt besetzt war. Dies ist dann planmäßig der Fall gewesen, wenn der Internist auf der Normalstation und der Anästhesist (bis zum Eintreffen des Rufdienstes) bei Notfalloperationen oder geburtshilflichen Notfallsituationen tätig sein mussten. Hinzu kommt, dass der internistische Intensivmediziner an Nacht- und Wochenenddiensten nicht in das Team der Intensivstation dergestalt eingebunden war, dass er Kenntnis vom aktuellen Gesundheitszustand aller dortigen Patienten hatte. Da er für die mit durchschnittlich ca 100 Patienten belegten internistischen Normalstationen ebenfalls zuständig war, konnte er rein tatsächlich aus Kapazitätsgründen nicht zugleich mit dem Gesundheitszustand aller Patienten der Intensivstation vertraut gewesen sein.

Praxisanmerkung:

Die in Kliniken an Wochenende häufiger verwendete, oben beschriebene Diensteinteilung führt dazu, dass an Wochnenenden der Arzt auf der Intensivstation nicht sofort am Patienten sein kann und dass er im Übrigen auch erst "eingewiesen" werden muss in die Krankengeschichte des Patienten. Auf einer Intensivstation soll aber gerade ein Arzt immer anwesend sein, der den Patienten kennt und somit sofort die notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen einleiten kann. Denn Intensivpatienten befinden sich in einem kritischen Zustand und bedürfen in der Regel softiger ärztlicher Behandlung. 

Nach diesem Urteil werden Chefärzte und Kliniken ihre bisherige Diensteinteilung überarbeiten müssen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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