L 1 KR 539/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 531/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 539/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die von OPS (2015) 8-980 verlangte Behandlungsleitung liegt nur vor, wenn ein Facharzt mit Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" auch an Wochenenden und Feiertagen täglich persönlich im Krankenhaus anwesend ist.

Bemerkung

Intensivmedizinische Komplexbehandlung - Behandlungsleitung durch Facharzt mit Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin"

      1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 4. November 2020 wird zurückgewiesen.
      2. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
      3. Die Revision wird zugelassen.
      4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.028,61 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Abrechnung einer stationären Krankenhausbehandlung und hier darüber, ob die Strukturvoraussetzungen des Operationen- und Prozeduren-Schlüssels (OPS) 8-980 (Version 2015) erfüllt sind.

 

Die bei der Beklagten versicherte Y.... (im Folgenden: Versicherte) wurde in der Zeit vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 im nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus des Klägers vollstationär vor dem Hintergrund einer Gelbsucht sowie einer bösartigen Neubildung des Nierenbeckens behandelt.

 

Die stationäre Krankenhausbehandlung vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 stellte der Kläger der Beklagten am 24.02.2016 in Rechnung und brachte dabei die DRG-Fallpauschale L36Z (Intensivmedizinische Komplexbehandlung > 588 / 552 / 552 Aufwandspunkte bei Krankheiten und Störungen der Harnorgane) in Ansatz. Der Rechnungsbetrag belief sich auf 25.231,03 €, den die Beklagte unter Vorbehalt am 10.03.2016 zahlte. Der in Ansatz gebrachten DRG-Fallpauschale L36Z lag u. a. der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-980.20 (Intensivmedizinische Komplexbehandlung [Basisprozedur]: 553 bis 1104 Aufwandspunkte) zugrunde.

 

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung der Abrechnung im Hinblick auf die Kodierung der Hauptdiagnose (bösartige Neubildungen des Nierenbeckens – C65) sowie die Kodierung der OPS. Im Gutachten des MDK vom 23.09.2016 wurde die Hauptdiagnose als gutachterlich nachvollziehbar angesehen, nicht jedoch die Prozedur 8-980.20. In den Unterlagen sei eine Behandlung der Versicherten auf der Intensivstation (ITS) vom 13.01.2016 bis 19.01.2016 belegt, Unterlagen zum Behandlungszeitraum vom 30.12.2015 bis 12.01.2016 lägen nicht vor. Zudem seien die Strukturvoraussetzungen zur Kodierung des OPS 8-980 bisher nicht vollständig belegt worden, wobei der MDK auf ein eigenes Gutachten aus Juni 2015 verwies. Die Beklagte hielt daraufhin die DRG-Fallpauschale L09C (Andere Eingr. b. Erkrankungen der Harnorgane auß. Anlage Dialyseshunt, oh. Kalziphylaxie, oh. Eingr. am Präputium, Alter < 2 Jahre od. äuß. schw. CC, oh. kompl. OR-Proz., oh. kompl. Eingr., od. Alter > 1 Jahr, oh. äuß. schw. CC, mit Schilddrüsenresektion) für gerechtfertigt und forderte von dem Kläger die Zahlung des Differenzbetrages i. H. v. 13.028,61 €.

 

Auf den Widerspruch des Klägers vom 11.10.2016 führte die Beklagte aus, dass die Strukturvoraussetzungen zur Kodierung des OPS 8-980 bei dem Kläger erst seit dem 01.05.2016 belegt seien. Zur Begründung stützte sie sich auf ein MDK-Gutachten vom 25.06.2016, nach dem die vom OPS 8-980* vorausgesetzte Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" an Wochenenden, Feiertagen und in der Urlaubszeit nicht zweifelsfrei hätte belegt werden können. Eine lückenlose Behandlungsleitung sei bei der Strukturprüfung anhand der Dienstpläne nicht nachgewiesen worden.

 

Am 20.06.2018 hat der Kläger beim Sozialgericht Dresden (SG) Klage auf Zahlung des – zwischenzeitlich von der Beklagten verrechneten – Differenzbetrages i. H. v. 13.028,61 € erhoben. Die Kodierung des OPS 8-980.20 sei zu Recht erfolgt. Es sei zwar zutreffend, dass in der Vergangenheit eine Strukturprüfung stattgefunden habe, konkret im Jahr 2014. Mittlerweile hätten jedoch die Kostenträger die Strukturvoraussetzungen anerkannt, ohne dass sich irgendwelche Änderungen an den organisatorischen Voraussetzungen im Hause des Klägers ergeben hätten. Die Strukturvoraussetzungen seien erfüllt. Zur Akte gereicht hat der Kläger u. a. Dienstpläne für die Zeit vom 30.12.2015 bis zum 19.01.2016. Soweit der OPS 8-980 u.a. eine Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" voraussetze, sei dies nicht gleichzusetzen mit einer 24-stündigen Anwesenheit eines Behandlungsleiters oder einer ständigen Anwesenheit eines Behandlungsleiters. Eine Stellvertreterregelung sei bei dem Mindestmerkmal der Behandlungsleitung nicht gefordert. Gleichwohl würden Stellvertreter vorgehalten. Die Behandlungsleitung werde durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" abgedeckt, hierzu stünden Oberarzt Dr. X...., Frau Dr. W.... sowie Oberarzt Dr. V.... zur Verfügung. Vergleichbar mit dem OPS-Kode 8-981 werde keine durchgehende persönliche Anwesenheit eines Facharztes gefordert. Auch das Bundessozialgericht (BSG – Verweis auf das Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/15 R) habe die ununterbrochene Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Behandlungsleiters nicht festgestellt. Soweit die Beklagte auf die Empfehlung zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Bezug nehme, handele es sich um eine Empfehlung; maßgeblich sei der Wortlaut der Abrechnungsvorschriften, die jedoch lediglich eine 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren seien und die aktuellen Probleme des Patienten kennen würden, erforderten, ferner eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation. Der Behandlungsleiter, der über die Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" verfügen müsse, müsse dagegen nicht rund um die Uhr ärztlich anwesend sein. In den Dienstplänen seien Dr. X.... und Dr. W.... aufgeführt. Daneben hätte im Notfall Oberarzt Dr. V.... zur Verfügung gestanden. Alle drei Ärzte verfügten über die Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin". Der Kläger hat ergänzende Unterlagen im Hinblick auf die Prüfung der Strukturvoraussetzungen durch die AOK PLUS im Zeitraum 2014 bis 2015 vorgelegt. Darin wird ihm im Schreiben der AOK PLUS vom 29.07.2015 – vor dem Hintergrund der von ihm dargelegten Vertretung durch Oberarzt Dr. V.... – mitgeteilt, dass (nach wie vor) die Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin", der überwiegend auf der Intensivstation tätig ist, nicht vollständig festgestellt werden könne. Die Vertretungsregelung bei Abwesenheit, Urlaub oder an Sonn- und Feiertagen sei nicht belegt, speziell an den Wochenenden gehe aus dem nachgereichten Dienstplan nicht hervor, dass ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" integriert sei, hier wäre die Verankerung eines Visitendienstes im Dienstplan sinnvoll und zielführend.

 

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten vom 25.06.2015 erwidert, dass die Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" an Wochenenden, Feiertagen und in der Urlaubszeit nicht zweifelsfrei habe belegt werden können. Das die Dienstpläne berücksichtigende weitere Gutachten des MDK vom 25.02.2020, das die Beklagte im Klageverfahren vorgelegt hat, bestätige die Bewertung. Nach diesem Gutachten sei die Ablehnung des OPS 8-980.20 für den stationären Aufenthalt vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 korrekt. Auch nach der Empfehlung der DIVI zu Struktur und Ausstattung von Intensivstationen sei eine Intensivtherapiestation durch einen Arzt zu leiten, der die Zusatzbezeichnung "Intensivmedizin" besitze und hauptamtlich auf der Intensivtherapiestation tätig sei.

 

Mit Urteil vom 04.11.2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Strukturvoraussetzungen für die Abrechnung des OPS 8-980.20 – intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur), hier: Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" – im maßgeblichen Zeitraum nicht vollständig erfüllt gewesen seien. Dem BSG zur geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/15 R – juris Rn. 14) und zur multimodalen Schmerztherapie (Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R – juris Rn. 22) folgend erfordere der Begriff der Behandlungsleitung, "dass es dabei um eine gesteigerte Verantwortung für die unmittelbare Behandlung der Patienten und nicht nur um die Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Behandlungseinheit geht." Es komme auf die tatsächliche Ausübung der Behandlungsleitung an. Auch ohne Nennung einer konkreten Anwesenheitszeit im OPS könne die Behandlungsleitung demnach nur ausüben, wer nach dem Umfang der Tätigkeit generell in der Lage sei, diese Verantwortung tatsächlich auch wahrzunehmen, was die Anwesenheit in dem Krankenhaus in einem bestimmten Mindestumfang voraussetze. Der Begriff "Behandlungsleitung" werde im OPS an vielen Stellen verwendet, so zum Beispiel bei den frührehabilitativen Komplexbehandlungen, der multimodalen Schmerztherapie und bei den sonstigen multimodalen Komplexbehandlungen. Zeitliche Vorgaben zur Anwesenheit oder zum Verfahren bei Abwesenheit enthielten die OPS in allen diesen Fällen nicht. Nur beim OPS 8-98e (Spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung) finde sich eine zeitliche Vorgabe, nämlich: "[…] Fachliche Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit Zusatzweiterbildung Palliativmedizin und mindestens 6-monatiger Erfahrung in der Behandlung von Palliativpatienten auf einer Palliativstation oder in einer anderen Einrichtung der spezialisierten Palliativversorgung. Die 24-stündige fachliche Behandlungsleitung kann durch Rufbereitschaft gewährleistet werden […]". Aus dem Wortlaut des OPS sei daher zu schlussfolgern, dass der Begriff Behandlungsleitung nicht grundsätzlich im Sinne einer 24-stündigen Anwesenheit, sondern funktional für die jeweilige Behandlung zu verstehen sei; die konkreten medizinischen Erfordernisse der jeweiligen Behandlung würden den Umfang, den eine "Behandlungsleitung" mindestens haben müsse, definieren. Demgemäß habe das BSG für die multimodale Schmerzbehandlung insoweit als Mindestanwesenheitszeit eine jeweils mindestens halbtägliche Anwesenheit regelmäßig montags bis freitags für notwendig erachtet hat, damit die Funktion der Behandlungsleitung überhaupt gewährleistet werden könne (Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 22). Für die intensivmedizinische Komplexbehandlung erfordere die Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" aufgrund der medizinischen Gegebenheiten auch eine zumindest stundenweise Anwesenheit am Wochenende. Nach der Rechtsprechung des BSG sei Intensivmedizin die Behandlung, Überwachung und Pflege von Patienten, bei denen die für das Leben notwendigen sog. vitalen oder elementaren Funktionen lebensgefährlich bedroht oder gestört seien, mit dem Ziel, diese Funktionen zu erhalten, wiederherzustellen oder zu ersetzen, um Zeit für die Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Die ärztliche Tätigkeit sei intensiver als auf anderen Stationen; der Arzt müsse bei auftretenden Krisen unmittelbar eingreifen, entsprechende Notfallkompetenz besitzen und die Intensivapparatur zielgerecht einsetzen können. Der Aufenthalt auf einer Intensivstation stelle deshalb die nachhaltigste Form der Einbindung in einen Krankenhausbetrieb und damit den Prototyp einer stationären Behandlung dar (BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 17/06 R – juris Rn. 19). In diesem Kontext könne der Auftrag der "Behandlungsleitung", also die gesteigerte Verantwortung für die unmittelbare Behandlung der Patienten, nicht über das Wochenende oder "Fehltage" pausieren, selbst wenn im Übrigen eine ständige ärztliche, intensivmedizinisch erfahrene Präsenz sichergestellt sei. Deswegen könne eine Unterbrechung über das Wochenende, die im hier streitigen Abrechnungsfall z.B. von Freitag, dem 08.01.2016 15:30 Uhr bis Montag, 11.01.2016 7:00 Uhr, d.h. 63,5 Stunden gedauert habe, nicht mehr als tatsächliche Ausübung der Behandlungsleitung angesehen werden. Zwar könne die reine Notfallintervention auch durch die erfahrenen Intensivmediziner erfolgen, die nach dem OPS ohnehin rund um die Uhr anwesend sein müssten und beim Kläger auch anwesend seien. Gleichwohl könne auf Intensivstationen jede Krisensituation aber auch ein Anlass dafür sein, die Behandlungsstrategie an sich einer kritischen Prüfung und ggf. Anpassung zu unterziehen, was aber Maßnahmen der Behandlungsleitung seien, die nach dem OPS durch Fachärzte mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" durchzuführen seien. Wegen der schwerwiegenden Erkrankungen der Patienten auf einer Intensivstation könnten behandlungsleitende Entscheidungen auch nicht in jedem Fall zwei Tage warten. Ergänzend hat das SG zur Ausfüllung des Begriffs der Behandlungsleitung und deren erforderlichem Umfang auf Intensivstationen die "Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen" der DIVI vom 30.11.2010 herangezogen.

 

Gegen das dem Kläger am 13.11.2020 zugestellte Urteil richtet sich seine am 10.12.2020 beim Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung. Nach der Rechtsprechung des BSG (Verweis auf Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R) müsse bezogen auf die multimodale Schmerztherapie OPS 8-819 der Verantwortliche die Schmerztherapie leiten und überwachen und dafür regelmäßig montags bis freitags im Hause sein. Eine ständige Anwesenheit der Leitung sei nicht erforderlich. Die vom SG in Bezug genommene Empfehlung des DIVI habe keinen normativen Charakter. Die Behandlungsleitung erfordere keine lückenlose Anwesenheit oder Erreichbarkeit. Der OPS sei streng am Wortlaut auszulegen, nach dem Wortlaut werde eine ständige Anwesenheit der Behandlungsleitung nicht gefordert. In der OPS-Version 2021 werde die Behandlungsleitung erklärt, danach sei eine zeitliche Komponente nicht zu fordern. Nach dem Begutachtungsleitfaden des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) zu den OPS-Strukturmerkmalen, Version 2021, sei eine mindestens halbtägliche Anwesenheit (werktags Montag bis Freitag) am Standort der Leistungserbringung zu fordern. Im OPS 8-890 (Version 2015 – gemeint ist: OPS 8-980) seien keine zeitlichen Vorgaben enthalten, anders im OPS 8-89f Version 2021 (gemeint ist: OPS 8-98f), wonach werktags zwischen 06:00 und 22:00 Uhr eine mindestens siebenstündige Anwesenheit auf der Intensivstation gefordert werde, außerhalb davon eine Verfügbarkeit innerhalb von 30 Minuten. Demgegenüber enthalte OPS 8-890 (Version 2021 – gemeint ist: OPS 8-980) keine zeitlichen Vorgaben.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 4. November 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.028,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jährlich seit dem 11. November 2016 zu zahlen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Zumindest eine stundenweise Anwesenheit des Facharztes mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" auch am Wochenende sei zu fordern. Eine Stellvertretungsregelung für das Wochenende und für Feiertage sowie den Urlaub der Behandlungsleitung sei erforderlich, da die Behandlungsleitung ansonsten wochenlang fehlen könnte. Von der Behandlungsleitung sei die lediglich ärztliche Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Behandlungseinheit zu unterscheiden. Die Behandlungsleitung auf einer Intensivstation sei von den medizinischen Bedürfnissen der Patienten geprägt und weniger planbar als z.B. eine multimodale Schmerzbehandlung; sie müsse dahingehend tatsächlich ausgeübt werden, dass auf einer Intensivstation ein Arzt mit entsprechender Notfallkompetenz bei auftretenden Krisen unmittelbar eingreifen müsse. Jede Krisensituation könne Anlass dafür sein, die Behandlungsstrategie einer kritischen Prüfung und ggf. einer Anpassung zu unterziehen. Diese Maßnahmen der Behandlungsleitung sollten nach dem OPS gerade durch Fachärztinnen und Fachärzte mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" durchgeführt werden. Der Rückgriff auf die Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen der DIVI sei sachgerecht. Jedenfalls bei tageweiser Abwesenheit der Behandlungsleitung ohne Vertreterregelung seien die Voraussetzungen der geforderten Behandlungsleitung im Sinne des OPS 8-980 nicht erfüllt.

 

Dem Senat haben die Gerichtsakte beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und die Patientenakte des Klägers vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 

Die form- sowie fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Denn für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 kann der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer Vergütung nicht auf der Grundlage der DRG L36Z, sondern nur auf der Grundlage der DRG L09C beanspruchen.

 

1. Der vom Kläger im Gleichordnungsverhältnis zulässigerweise mit der echten Leistungsklage (dazu BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 9; Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn. 7) verfolgte Vergütungsanspruch aus der Behandlung anderer Versicherter erlosch dadurch in Höhe von 13.028,61 €, dass die Beklagte insoweit wirksam mit einem Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 aufrechnete.

 

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Kläger aufgrund stationärer Krankenhausbehandlung anderer Versicherter der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 13.028,61 € hatte; eine nähere Prüfung erübrigt sich insoweit (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens: BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 29; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 32; Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 16/11 R – juris Rn. 10). Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob dieser Zahlungsanspruch entsprechend § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Zahlung der Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten erloschen ist (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 8; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 26/14 R – juris Rn. 33; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn. 8). Dies ist hier der Fall. Denn die Beklagte hatte dem Kläger einen Betrag von 13.028,61 € ohne Rechtsgrund gezahlt, weil der Kläger für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 nicht einen Vergütungsanspruch in Höhe von – wie von ihr abgerechnet – 25.231,03 €, sondern nur in Höhe von 12.202,42 € hat.

 

2. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs des Klägers gegen die Beklagte für die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten in der Zeit vom 28.12.2015 bis 04.02.2016 ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 1 Fallpauschalenvereinbarung 2015 (FPV 2015) sowie Anlage 1 der FPV 2015 (Fallpauschalenkatalog 2015). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (BSG, Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R – juris Rn. 11; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 25.09.2019 – L 1 KR 142/14 – juris Rn. 17).

 

Der Vergütungsanspruch des Klägers für die streitige Krankenhausbehandlung ist dem Grunde nach entstanden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entstehen unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 10; Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 18/15 R – juris Rn. 9; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 13; Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 1/07 KR R – juris Rn.11). Dies war hier der Fall.

 

Dem Kläger steht gegen die Beklagte für die streitige Krankenhausbehandlung ein Vergütungsanspruch nicht in Höhe von 25.231,03 €, sondern nur in Höhe von 12.202,42 € zu. Denn der Kläger durfte seiner Abrechnung nicht die DRG-Fallpauschale L36Z zugrunde legen, sondern nur die geringer zu vergütende DRG-Fallpauschale L09C.

 

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich gemäß § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV 2015 rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten – insbesondere von Diagnosen und Prozeduren – in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (näher dazu BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 19 ff.). Dabei greift das Programm auch auf Dateien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die FPV selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM – hier in der Version 2015) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG herausgegebenen OPS (hier in der Version 2015). Ebenso gehört zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Jahr 2015. Die Verbindlichkeit der in der FPV und den DKR angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in das vertraglich vereinbarte Fallpauschalensystem und insbesondere in dessen Kern, den Grouper, einbezogen sind (BSG, Urteil vom 19.06.2018 – B 1 KR 39/17 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R – juris Rn. 31; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 13; Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 26/13 R – juris Rn. 12; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R – juris Rn. 24).

 

Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich ICD und OPS ist nicht automatisiert und unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R – juris Rn. 13; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 18/17 R – juris Rn. 14; Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R – juris Rn. 12; Urteil vom 17.06.2010 – B 3 KR 4/09 R – juris Rn. 14; Urteil vom 21.02.2002 – B 3 KR 30/01 R – juris Rn. 27). Soweit in solchen Vergütungsregelungen spezifisch medizinische Begriffe verwandt werden – und keine abweichenden Vorgaben bestehen –, kommt ihnen der Sinngehalt zu, der ihnen im medizinisch-wissenschaftlichen Sprachgebrauch beigemessen wird (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B – juris Rn. 18; Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 21/14 R – juris Rn. 18; vgl. auch BSG, Urteil vom 26.09.2017 – B 1 KR 9/17 R – juris Rn.16). Dies gilt sowohl für ICD und OPS als auch für die DKR.

 

Die Abrechnung der DRG-Fallpauschale L36Z setzt voraus, dass der Kläger den OPS 8-980 in Ansatz bringen durfte. Dies ist nicht der Fall. Die OPS (2015) bestimmen hierzu:

8-980   Intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur)

Exkl.: Intensivüberwachung ohne akute Behandlung lebenswichtiger Organsysteme oder kurzfristige (< 24 Stunden) Intensivbehandlung

Kurzfristige (< 24 Stunden) Stabilisierung von Patienten nach operativen Eingriffen

Hinw.: Mindestmerkmale:

    • Kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren sind und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen
    • Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin"
    • Eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation muss gewährleistet sein
    • Die Anzahl der Aufwandspunkte errechnet sich aus der Summe des täglichen SAPS II (ohne Glasgow Coma Scale) über die Verweildauer auf der Intensivstation (total SAPS II) plus der Summe von 10 täglich ermittelten aufwendigen Leistungen aus dem TISS-Katalog über die Verweildauer auf der Intensivstation
    • Die zu verwendenden Parameter des SAPS II und des TISS sind im Anhang zum OPS zu finden
    • Spezielle intensivmedizinische Prozeduren, wie Transfusion von Plasma und Plasmabestandteilen, Plasmapherese und Immunadsorption, Maßnahmen im Rahmen der Reanimation u.a. sind gesondert zu kodieren
    • Dieser Kode ist für Patienten, die bei stationärer Aufnahme das 14. Lebensjahr vollendet haben, anzugeben

 

Demgemäß darf der Kläger den OPS (2015) 8-980 nur bei der Abrechnung zugrunde legen, wenn die in diesem OPS aufgezählten Mindestmerkmale vorliegen. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist allein das zweite Mindestmerkmal (Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin") streitig, wobei insbesondere der zeitliche Umfang der erforderlichen Anwesenheit bzw. der möglichen Abwesenheit von Bedeutung ist.

 

Für den Begriff der "Behandlungsleitung", der wiederholt Eingang in die verschiedenen OPS gefunden hat, folgt nach der Rechtsprechung des BSG schon aus dessen Wortlaut – in Abgrenzung zu Leitung oder Teamleitung –, dass es dabei um eine gesteigerte Verantwortung für die unmittelbare Behandlung der Patienten und nicht nur um die Verantwortung für die Organisation und das Funktionieren der Behandlungseinheit geht. Eine derartige Verantwortung kann nur bei persönlicher Anwesenheit eines über die im jeweiligen OPS genannten Qualifikationen verfügenden, seine Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung tatsächlich ausübenden Facharztes wahrgenommen werden (BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/15 R – juris Rn. 14 zur Behandlungsleitung im Rahmen der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung OPS [2007] 8-550; Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R – juris Rn. 22 zum "Verantwortlichen" bei der multimodalen Schmerztherapie OPS [2007] 8-918).

 

Neben den vom BSG definierten qualitativen Erfordernissen der Behandlungsleitung ist der zeitliche Rahmen der erforderlichen persönlichen Anwesenheit eines über die im jeweiligen OPS genannten Qualifikationen verfügenden, seine Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung tatsächlich ausübenden Facharztes zu bestimmen. Das BSG hat für die multimodale Schmerztherapie (OPS 8-918) unter Berücksichtigung der in diesem OPS geforderten "täglichen Visite oder Teambesprechung und einer interdisziplinären wöchentlichen Teambesprechung", gefolgert, dass der Behandlungsleiter regelmäßig montags bis freitags jeweils mindestens halbtäglich im Hause anwesend sein muss (Urteil vom 18.07.2013 – B 3 KR 7/12 R – juris Rn. 22). Im Fall der geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung hat das BSG (Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/15 R – juris Rn. 14) aus einer fünftägigen Abwesenheit des entsprechenden Facharztes auf eine fehlende Behandlungsleitung geschlossen. Für die neurologische Komplexbehandlung (OPS 8-891) wird für das zeitliche Element der fachlichen Behandlungsleitung als erforderlich aber auch ausreichend angesehen, dass die die fachliche Behandlungsleitung innehabenden Ärzte informiert sind und zur Verfügung stehen, sie den Behandlungsprozess kontrollieren und überwachen sowie dass sie tatsächlich anwesend sind, wenn die Behandlung der Patienten dies erfordert. Dies wurde bejaht bei Informationen und Rücksprachen, bei täglich zwei Visiten und der Möglichkeit, auch davon unabhängig die Patienten der fraglichen Station aufzusuchen, sowie bei ständiger 24stündiger Rufbereitschaft (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.03.2015 – L 11 KR 5212/13 – juris Rn. 53).

 

Dies zugrunde gelegt erachtet es der Senat als sachgerecht, dass der zeitliche Rahmen der Anwesenheit des Behandlungsleiters unter Einschluss der fachlichen Besonderheiten der jeweiligen Komplexbehandlung zu beurteilen ist. Dabei ist den Erwägungen des SG im angefochtenen Urteil zu den Anforderungen an die intensivmedizinische Behandlungsleitung in Abgrenzung zu (eher planbaren) Behandlungen beizutreten. Bei Komplexbehandlungen, die insoweit planbar sind, als ein Behandlungsbeginn regelmäßig zu "regulären Arbeitszeiten" an Werktagen erfolgen kann, ist eine Abwesenheit der Behandlungsleitung am Wochenende bzw. an Feiertagen unschädlich, da mit Behandlungsbeginn an Werktagen die "Therapieverantwortlichkeit" unmittelbar wahrgenommen werden kann und Abwesenheitszeiten organisatorisch überbrückt werden können. Bei Komplexbehandlungen, bei denen der Behandlungsbeginn hingegen nicht planbar ist, kann die Behandlungsleitung auch außerhalb der üblichen (werktäglichen) Dienstzeiten erforderlich werden, da sich die Behandlungsleitung auf die gesamte Dauer der Behandlung erstrecken muss (BSG, Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 4/15 R – juris Rn. 14). Von einer Behandlungsleitung kann hingegen strukturell nicht ausgegangen werden, wenn bei Aufnahme oder bei eintretenden akuten Veränderungen der vom OPS geforderte Facharzt mit Zusatzweiterbildung nicht zeitnah zur Verfügung steht und deshalb erforderliche Maßnahmen der Behandlungsleitung für einen relevanten Zeitraum gar nicht angeordnet werden können. Dabei verkennt der Senat nicht, dass auch ohne Anwesenheit der Behandlungsleitung eine Behandlung gewährleistet sein kann, z.B. durch die Verfügbarkeit eines entsprechend erfahrenen (anderen) Arztes (selbst wenn er die fachlichen Voraussetzungen der Behandlungsleitung nicht erfüllt). Die Verfügbarkeit eines erfahrenen Arztes ist jedoch regelmäßig ein gesondertes Strukturmerkmal und unabhängig von dem Merkmal der Behandlungsleitung i.S.d. jeweiligen OPS.

 

Ausgehend davon, dass auf einer Intensivstation akute Fälle regelmäßig auch am Wochenende aufzunehmen sind oder sich bei bereits aufgenommenen Patienten relevante Veränderungen unabhängig von Wochentag und Uhrzeit ergeben können, setzt eine Behandlungsleitung durch einen Facharzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" – wie sie OPS 8-980 verlangt – voraus, dass diese zeitnah zur Aufnahme (Behandlungsbeginn) oder auch bei (erwartbaren) Notfällen ausgeübt werden kann. Dies ergibt sich aus der Eigenart der Intensivmedizin. Intensivmedizin ist Behandlung, Überwachung und Pflege von Patienten, bei denen die für das Leben notwendigen sog. vitalen oder elementaren Funktionen von Atmung, Kreislauf, Homöostase und Stoffwechsel lebensgefährlich bedroht oder gestört sind, mit dem Ziel, diese Funktionen zu erhalten, wiederherzustellen oder zu ersetzen, um Zeit für die Behandlung des Grundleidens zu gewinnen. Die Zahl der betreuten Patienten auf der Intensivstation ist deutlich geringer als auf normalen Krankenstationen, weil das Pflegepersonal die Körperfunktionen ihrer Patienten wesentlich umfangreicher beobachten und überwachen muss. Die apparative Versorgung ist vielfältiger und umfasst neben den Geräten zur kontinuierlichen Kontrolle von Herzmuskelaktivitäten (EKG), Blutdruck, Körpertemperatur und anderen Vitalparametern meist zusätzliche Spezialapparaturen. Auch die ärztliche Tätigkeit ist intensiver als auf anderen Stationen; der Arzt muss bei auftretenden Krisen unmittelbar eingreifen, entsprechende Notfallkompetenz besitzen und die Intensiv-apparatur zielgerecht einsetzen können. Der Aufenthalt auf einer Intensivstation stellt deshalb die nachhaltigste Form der Einbindung in einen Krankenhausbetrieb und damit den Prototyp einer stationären Behandlung dar (BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 17/06 R – juris Rn. 19).

 

Die im Rahmen der Intensivmedizin erforderliche engmaschige Betreuung geht auch aus den von der Beklagten und dem SG herangezogenen Empfehlungen der DIVI (Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivtherapiestationen der DIVI vom 30.11.2010) hervor. Ein Rückgriff auf diese Empfehlungen erachtet der Senat für die Auslegung des Begriffs der Behandlungsleitung im intensivmedizinischen Kontext als zulässig. Zwar sind für die gerichtliche Auslegung von Begriffen im OPS Äußerungen medizinischer Fachgesellschaften zu deren Entstehungsgeschichte nicht einzubeziehen (BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 11/21 R – juris Rn. 16), indes sind bei – wie vorliegend – fehlenden normativen definitorischen Vorgaben medizinische Begriffe grundsätzlich im Sinne eines faktisch bestehenden, einheitlichen wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauchs zu verstehen (BSG, a.a.O. Rn. 7), der wortlautorientiert wie eine Tatsache als Vorfrage für die Auslegung im gerichtlichen Verfahren durch Beweiserhebung ermittelt werden kann (BSG, Beschluss vom 19.07.2012 – B 1 KR 65/11 B – juris Rn. 18). In diesem Rahmen greift der Senat auf die Empfehlungen der DIVI vom 30.11.2010 zurück, wonach eine Intensivtherapiestation durch einen Arzt geleitet werden soll, der die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin besitzt und hauptamtlich auf der Intensivtherapiestation tätig ist (Empfehlungsgrad 1A, vgl. Abschnitt IV. A....). Zur Präsenz wird diesbezüglich empfohlen, dass – neben einer durchgängigen Anwesenheit eines in der Intensivmedizin erfahrenen und die aktuellen Probleme der Patienten kennenden Arztes (Empfehlungsgrad 1A) – ein Arzt mit mindestens der in der Weiterbildungsordnung geforderten Weiterbildung in der Intensivmedizin (Facharztstandard) auf der Intensivtherapiestation präsent, nachts zumindest im Krankenhaus präsent und kurzfristig auf der Intensivtherapiestation sein soll (Empfehlungsgrad 1B), wobei eine permanente Präsenz eines Arztes mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin auf der Intensivtherapiestation zu einer weiteren Verbesserung führen kann (Empfehlungsgrad 2B – vgl. zur Präsenz insgesamt Abschnitt IV. B. 1.).

 

Ausgehend davon, dass die konkreten Empfehlungen im Empfehlungsgrad 1A und 1B ausweislich der in den Empfehlungen der DIVI vom 30.11.2010 wiedergegebenen Methodik "starke Empfehlungen" sind, die sich u.a. auf hochwertige bzw. gute Evidenz stützen und für die meisten Umstände uneingeschränkt gelten, erachtet es der Senat als dem wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauch entsprechend, dass eine intensivmedizinische Behandlungsleitung an Wochenenden und Feiertagen nicht pausiert, was insbesondere darin zum Ausdruck kommt, dass neben der Anwesenheit eines in der Intensivmedizin erfahrenen Arztes ein Arzt mit mindestens der in der Weiterbildungsordnung geforderten Weiterbildung in der Intensivmedizin (Facharztstandard) – also die Behandlungsleitung – zumindest im Krankenhaus anwesend und kurzfristig auf der Intensivtherapiestation sein soll.

 

Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus den vom Kläger vorgetragenen Argumenten. Dass der OPS streng am Wortlaut auszulegen ist und nach dem Wortlaut eine ständige Anwesenheit der Behandlungsleitung nicht gefordert wird, ist nicht gleichzusetzen damit, dass eine intensivmedizinische Behandlungsleitung feiertags und an Wochenenden gar nicht stattzufinden braucht. Auch der Verweis auf die OPS-Version 2021, in dem eine zeitliche Komponente nicht gefordert werde, führt nicht weiter, da maßgeblich die OPS-Version 2015 ist. Das gleiche gilt für den Begutachtungsleitfaden des MDS zu den OPS-Strukturmerkmalen, Version 2021, die für die Auslegung des wissenschaftlich-medizinischen Sprachgebrauchs im Jahr 2015 wenig dienlich ist. Aber selbst bei Berücksichtigung des Begutachtungsleitfadens ist beachtlich, dass "die Kontinuität der Behandlungsleitung … sicherzustellen" ist. Zwar wird weiter ausgeführt, dass – sofern im konkreten Kode keine anderen Vorgaben gemacht werden – eine mindestens halbtägliche Anwesenheit (werktags Montag bis Freitag) am Standort der Leistungserbringung gefordert wird. Diese generellen Ausführungen beziehen sich aber nicht konkret auf den OPS 8-980. Selbst wenn in OPS 8-980 (Version 2015) – wie dargelegt – konkrete zeitliche Vorgaben fehlen, besteht ein Spannungsverhältnis mit der im Begutachtungsleitfaden gleichzeitig geforderten "Kontinuität der Behandlungsleitung", die im Fall der intensivmedizinischen Komplexbehandlung eine Beschränkung auf werktags Montag bis Freitag nicht zulässt. Soweit der Kläger auf den OPS 8-98f (Version 2021) verweist, wonach werktags zwischen 06:00 und 22:00 Uhr eine mindestens siebenstündige Anwesenheit auf der Intensivstation und außerhalb davon eine Verfügbarkeit innerhalb von 30 Minuten gefordert werde, demgegenüber der OPS 8-980 (Version 2021) keine zeitlichen Vorgaben enthält, ist daraus nicht abzuleiten, dass die Behandlungsleitung i.S.d. OPS 8-980 an Wochenenden oder feiertags gar nicht anwesend sein muss. Dass im OPS 8-98f (Version 2021) Anwesenheitszeiten der Behandlungsleitung konkretisiert werden, hat keinen Einfluss auf die Auslegung des Begriffs der Behandlungsleitung für das Jahr 2015.

 

Soweit das SG München im Urteil vom 23.07.2020 – S 15 KR 2143/18 – (juris Rn. 44 ff.) zum OPS 8-890 der Meinung ist, dass es einer täglichen sowie ständigen (24-stündigen) Anwesenheit der Behandlungsleitung nicht bedürfe, sondern ausreichend sei, dass ein leitender Arzt mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" die Geschicke der Intensivabteilung lenke, was die temporäre Delegation von Aufgaben einschließe und durch Leitung im Sinne von Verantwortung für die medizinische Behandlung im Rahmen von Visiten, Besprechungen, Fallerörterungen und ähnlichem, bezogen auf den medizinischen Einzelfall, ausgefüllt werden könne, bleiben die Besonderheiten des intensivmedizinischen Fachgebietes in Zusammenschau mit der vom BSG geforderten persönlichen Anwesenheit der Behandlungsleitung für die Dauer der Behandlung unberücksichtigt. Der Ansicht des SG München, wonach eine maximale Abwesenheit von zwei Tagen eines Facharztes mit der Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" unschädlich sei, vermag der Senat aufgrund der dargelegten Besonderheiten einer Intensivstation nicht zu folgen.

 

Der Senat erachtet es daher als gerechtfertigt, dass über die vom BSG für die multimodale Schmerztherapie (OPS 8-918) postulierte Anwesenheit der Behandlungsleitung regelmäßig montags bis freitags hinaus bei der intensivmedizinischen Komplexbehandlung (OPS 2015 8-980) auch an Wochenenden und Feiertagen eine tägliche persönliche Anwesenheit der Behandlungsleitung erforderlich ist.

 

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die im Krankenhaus des Klägers in der streitigen Zeit auf der Intensivstation dienstplanmäßig tätigen Dr. X.... und Dr. W...., die die Zusatzweiterbildung "Intensivmedizin" aufweisen, waren in der Zeit vom 08.01.2016 15:30 Uhr bis 11.01.2016 7:00 Uhr nach dem aktenkundigen Dienstplan nicht im Dienst und konnten damit eine Behandlungsleitung nicht wahrnehmen. Die Abwesenheit der Behandlungsleitung umfasst eine Zeit von 63,5 Stunden und damit mehr als zwei Tage auch eine Rufbereitschaft oder sonstige Maßnahmen zur Ermöglichung einer persönlichen Anwesenheit der Behandlungsleitung bestand nicht. Bei einer solchen Zeitspanne sind die Voraussetzungen des OPS (2015) 8-980 nicht erfüllt. Dass ein anderer Arzt mit der geforderten Zusatzweiterbildung in dieser Zeit die Behandlungsleitung tatsächlich übernommen hat oder hätte übernehmen können, ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger hier auf Dr. V.... (Oberarzt der Klinik für Innere Medizin) verweist, der in Notfällen zur Verfügung gestanden hätte, ist eine Vertretung in der Behandlungsleitung weder im konkreten Einzelfall noch strukturell erkennbar. Insbesondere ist vom Kläger nicht dargelegt, dass dieser Arzt in der fraglichen Zeit überhaupt hätte anwesend sein müssen oder können. Dabei ist der Kläger bereits vor der hier fraglichen Behandlung auf die Problematik der fehlenden Verankerung einer Vertretung durch Dr. V.... im Dienstplan der Intensivstation aufmerksam gemacht worden – u.a. im Gutachten des MDK vom 25.06.2015 –, ohne dass dies zu nachgehenden erkennbaren strukturellen Änderungen beim Kläger führte oder die Umsetzung oder Beachtung sonst nachgewiesen wurde.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

4. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 47 Abs. 1 und 2, § 43 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

 

 

Rechtskraft
Aus
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