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Bundestagsabgeordneter im Interview

Axel Müller sieht Krankenhaus-Schließung als Chance für Waldsee und Region

Bad Waldsee und Region / Lesedauer: 7 min

„Das Gesundheitszentrum ist kein Trostpreis für Waldsee, sondern eine Blaupause“, sagt Müller. Im Interview erklärt er, warum er so optimistisch in die Zukunft blickt.
Veröffentlicht:19.05.2023, 19:00

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Das Waldseer Krankenhaus gehört spätestens Ende September der Geschichte an.

Warum die örtliche Klinik–Schließung eine Chance für die Große Kreisstadt darstellt, hat CDU–Bundestagsabgeordneter und Kreistagsmitglied Axel Müller im SZ–Interview mit Wolfgang Heyer beschrieben. Außerdem geht er auf Kritik aus Bad Waldsee ein.

Herr Müller, im Antrag der Kreis–CDU, der von Ihnen und Volker Restle unterzeichnet ist, zeigen Sie auf, dass die „medizinische Versorgung in Bad Waldsee und der näheren Umgebung eher besorgniserregend“ ist. War Ihnen das vor der Krankenhaus–Abstimmung im Kreistag nicht bewusst?

Nein, da war die Entwicklung im ambulanten Bereich in Bad Waldsee nicht abzusehen. Die Aussage bezieht sich nämlich nicht auf die stationäre Versorgung, sprich das Krankenhaus, sondern auf die ambulante, fachärztliche Versorgung durch niedergelassene Ärzte.

Ein Sitz eines Allgemeinarztes ist seit geraumer Zeit unbesetzt und zwei weitere Sitze werden demnächst vakant. Damit sind drei Hausarztsitze nicht mehr besetzt.

Und stationär?

Stationär ist Bad Waldsee durch die Kliniken in Biberach und Ravensburg abgedeckt. Obgleich in Ravensburg nicht alle Betten zur Verfügung stehen — zuletzt konnten 200 nicht betrieben werden.

Das Elisabethen–Krankenhaus hat zwar mehr Beschäftigte denn je, aber trotzdem ein Defizit an Pflegepersonal.

Dass die Kreis–CDU, die größtenteils für die Schließung der Waldseer Klinik gestimmt hat, nun Geld vom Landkreis fordert, um das Nachfolgemodell voranzubringen, hat viele Waldseer verwundert. Können Sie diese Verwunderung nachvollziehen?

Wir haben immer gesagt: Wenn das Krankenhaus wegfällt, muss es ein gutes — dem Stand der Zeit entsprechendes — medizinisches Ersatzkonstrukt geben.

Und bis zur Krankenhausreform auf Bundesebene, die frühestens im Frühjahr 2024 kommen wird, braucht es eine Überbrückung. Dafür muss der Landkreis Ravensburg 100.000 Euro zur Verfügung stellen. Und wie ich aus Gesprächen mit den anderen Fraktionen höre, stößt der Antrag bislang nicht auf offenen Widerstand.

Welche Rolle spielt die Reform für Bad Waldsee?

Gemäß der Reform wäre das Krankenhaus in Bad Waldsee als Level–1i–Krankenhaus eingestuft worden. Die Bezeichnung ist aber irreführend, weil es kein Krankenhaus ist.

Das ist ein ambulantes Zentrum mit Tagesnachsorge. Genau in diese Stoßrichtung geht das Nachfolgekonzept in Bad Waldsee schon seit einem dreiviertel Jahr. Wenn die Reform umgesetzt wird, werden bundesweit Hunderte Krankenhäuser umgestellt.

Da sind wir in Bad Waldsee aber schon deutlich weiter und konnten sogar Fördermittel abgreifen. Wir sind vor der großen Welle, das ist das Gute.

Wie die Nachfolgelösung in Bad Waldsee genau aussieht, ist aber immer noch nicht klar...

Es wird ein Medizinisches Versorgungszentrum — MVZ — von der OSK geben. Die Sonderbedarfszulassung für die Chirurgie ist erteilt, über die Sonderbedarfszulassung für die Innere will der Zulassungsauschuss wohl im Juni 2023 entscheiden.

Dann ist ein zweites MVZ geplant — mit niedergelassenen Ärzten, wo zwei der vakanten Hausarztsitze genutzt werden. Darüber gibt es eine Dachgesellschaft — eine Genossenschaft.

Noch befindet sich bei der Planung aber vieles im Konjunktiv, die Genossenschaft ist nicht gegründet.

Wenn der Gemeinderat zustimmt, kann es gegründet werden.

Und die Ärzte mitmachen, oder?

Den Ärzten wird durch so ein Konstrukt viel Arbeit abgenommen. Sie müssen heutzutage schließlich nicht nur Mediziner sein, sondern auch Unternehmer. Es gibt viele bürokratische Aufgaben, die von der eigentlichen Arbeit abhalten.

In einem größeren Verbund gibt es die Möglichkeit, sich die Last der Verwaltung aufzuteilen, es gibt leichteren fachlichen Austausch und einfachere Vertretungsmöglichkeiten. Alles wird leichter. Übrigens wird die medizinische Versorgung vor Ort in weiten Teilen der Republik künftig so aussehen.

Aber die Notfallversorgung rund um Bad Waldsee hat sich durch die bevorstehende Klinikschließung trotzdem verschlechtert.

Ist das so? Einem Schlaganfall–Patienten hätte es bislang nichts gebracht, wenn man ihn zuerst nach Bad Waldsee gefahren hätte. Die optimale Versorgung findet er in der zentralen Notaufnahme in Ravensburg.

Die ist in +– 20 Minuten erreichbar und dort gibt es dann Fachärzte aller Disziplinen, die einen entsprechende Notfallversorgung bei Verkehrsunfällen, allergischen Schocks oder eben Schlaganfällen sicherstellen. Damit in den Notaufnahmen aber auch zukünftig entsprechende Kapazitäten vorhanden sind, wollen wir als CDU/CSU die Notaufnahmen zukünftig von Bagatell–Fällen entlasten.

Dass nach einer Woche mit Rückenschmerzen am Sonntag ins Krankenhaus gefahren wird, nur weil die Praxen noch einen Tag lang geschlossen sind, kann nicht zur Selbstverständlichkeit werden.

Wer leichtfertig in die Notaufnahme geht, obwohl kein Notfall vorliegt, belastet unser Gesundheitswesen zulasten all jener, die wirklich dringend Hilfe brauchen. Daraus entstehen erhebliche Kosten, die wir nicht länger nur der Allgemeinheit aufbürden dürfen. Wir schlagen daher 20 Euro Eigenbeteiligung in diesen Fällen vor.

Kommen wir zurück zum Waldseer Krankenhaus: Sie waren beim Kreistagsbeschluss damals verhindert. Wie hätten Sie denn abgestimmt?

Ich war wegen Bundestagssitzungen in Berlin. Aber wenn ich da gewesen wäre, hätte ich für die Schließung gestimmt.

Warum?

Die Tendenz geht zur Ambulantisierung. Die ambulanten Behandlungen nehmen explosiv zu, die stationären ab. Und wir brauchen einfach eine bessere Verzahnung von ambulant und stationär. Wir müssen eine höhere Durchlässigkeit erzeugen.

Das findet in vielen Ländern Europas übrigens schon so statt. Wenn uns das in Bad Waldsee gelingt, dann wird das eine Blaupause für viele andere Standorte, wo Krankenhäuser schon schließen mussten — beispielsweise in Leutkirch oder Isny — oder noch schließen werden.

Und ich bin fest davon überzeugt, dass unser Gesundheitssystem in seiner aktuellen Form nicht weiter funktioniert. Das liegt nicht nur am Geld, sondern auch an der Ineffizienz. Viele Häuser heißt nicht, dass es viel gute medizinische Versorgung gibt.

Aber in Bad Waldsee wurden in etlichen Umfragen immer die in hohem Maße zufriedenstellenden Operationen und Behandlungen gelobt.

Die Waldseer Akteure haben einen Top–Job geleistet. Da kann man auch nur ein großes Dankeschön aussprechen. Man muss aber in die Zukunft blicken.

Und wenn wir dann sehen, dass die stationären Fälle zurückgehen, dann haben wir hohe Vorhaltungskosten bei ausbleibenden stationären Patienten. Das Krankenhaus der Zukunft ist keines, wie es das Waldseer Krankenhaus war.

Glauben Sie, dass es ab 1. Oktober einen nahtlosen Übergang zum neuen Gesundheitszentrum geben wird?

Wir haben ein gutes Konzept und wenn es gelingt die Sitze mit Personen zu besetzen, werden wir am 1. Oktober starten.

Und: Wenn der Gemeinderat zustimmt. Es geht schließlich um eine genossenschaftliche Beteiligung der Stadt.

Die Finanzierung stellt das Damoklesschwert dar, richtig?

Die beteiligten Ärzte rechnen normal mit den Kassen ab. Deren Auskommen wäre gedeckt. Es geht dabei um die Frage, wie die Dachgesellschaft finanziert wird.

Bis im nächsten Jahr die Gesetzesreform in Kraft tritt, brauchen wir eine Überbrückung und deswegen ist das Geld vom Landkreis wichtig.

Sie sind also zuversichtlich, dass für Bad Waldsee eine gute Lösung gefunden wird?

Ja. Hier greift die Subsidiarität: Die Waldseer wissen, was sie brauchen und werden das auch formulieren, dafür werden alle Fraktionen des Gemeinderats sorgen.

Und eine Genossenschaft unter Beteiligung der Stadt hat den Vorteil, dass die Stadt Mitsprache hat.

Sie sehen die künftige medizinische Versorgung also als Chance für Bad Waldsee?

Ich brenne für dieses Projekt und habe schon viele Stunden und Tage dafür investiert. Ja, das ist eine wichtige Chance, weil wir noch vor der Welle sind und antizipiert haben, was sowieso kommen wird.

Das Gesundheitszentrum ist kein Trostpreis für Bad Waldsee, sondern eine Blaupause für andere Standorte.