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Tausende Verfahren um angeblich falsche Rechnungen am Sozialgericht Detmold

Kliniken und Krankenkassen fetzen sich vor Gericht

Detmold (WB).  Tausende von Streitfällen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern belasten das Sozialgericht Detmold. Dessen 13 Richterinnen und zwölf Richter sind für die mehr als zwei Millionen Menschen in Bielefeld und den sieben Kreisen Ostwestfalen-Lippes zuständig.

Christian Althoff

Blick in den Verhandlungssaal: Der Streit zwischen Kliniken und Kassen ist inzwischen das größte Arbeitsfeld der Richter.
Blick in den Verhandlungssaal: Der Streit zwischen Kliniken und Kassen ist inzwischen das größte Arbeitsfeld der Richter. Foto: Althoff

„Fast 30 Prozent aller Klagen, die bei uns eingehen, betreffen inzwischen diesen Bereich“, sagt Gerichtsvizepräsident Uwe Wacker. Und eine Besserung scheint nicht in Sicht: „Das Tischtuch zwischen Kassen und Kliniken ist zerschnitten“, sagt Richterin Katrin Kornfeld. „Da wird bis zum Schluss verbissen gekämpft. Es werden kaum Vergleiche geschlossen.“

Kassen unterstellen unrichtige Abrechnungen

Bis 2003 rechneten die Kassen mit den Krankenhäusern über Tagessätze ab. Je länger ein Patient blieb, umso teurer wurde es. Das wollte man ändern und schuf die Fallpauschalen: Fast 1300 sind es aktuell, und in jedem Fall wird genau beschrieben, was das Krankenhaus für eine bestimmte Behandlung abrechnen darf. Weil ein Patient aber oft mehrere Beschwerden hat, ist das Schreiben der Rechnungen, das sogenannte Kodieren, extrem kompliziert.

Prüften Kassen die Rechnungen früher stichprobenartig, so gab es zuletzt Krankenhäuser, bei denen jede vierte kontrolliert wurde. Die Kassen unterstellen unrichtige Abrechnungen zu Lasten der Versicherten. Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands wirft den Kassen dagegen vor, nicht nach echten Fehlern zu suchen, die es „vielleicht in zwei Prozent der Fälle“ gebe, sondern immer häufiger Diagnosen von Ärzten anzuzweifeln, um den Rechnungsbetrag zu drücken.

Zum Schluss landen die Auseinandersetzungen vor den Sozialgerichten. Mal geht es um 500 Euro, in Detmold wurde aber auch schon um 40.000 Euro gestritten.

„Erhebliche Summen ausgegeben“

Klagen gegen das Jobcenter, die Rentenversicherung, den Sozialhilfeträger – insgesamt 8220 Verfahren gingen 2019 beim Sozialgericht in Detmold ein, und 2388 davon betrafen den Bereich Krankenversicherung. Doch diese Zahl spiegelt nicht die Realität wider. Katrin Kornfeld: „Wenn ein Krankenhaus beispielsweise gegen die AOK Klage einreicht, weil es mit der Kürzung von Rechnungen nicht einverstanden ist, kann es in dieser einen Klage um die Abrechnungen hunderter AOK-Versicherter gehen.“

Das bedeute, dass ein Richter sich mit entsprechend vielen Patientenakten auseinandersetzen müsse. „Ich schätze, dass wir bis zu 3000 Fälle mehr auf dem Tisch haben, als unsere Eingangsstatistik vermuten lässt“, sagt die Richterin. Deshalb stimme die Statistik, die pro Richter in Detmold 424 neue Verfahren für das Jahr 2019 ausweise, in diesem Punkt auch nicht.

Gerichtsvizepräsident Uwe Wacker sagt, in diesen Streitfällen würden erhebliche Summen ausgegeben, die den Patienten und den Steuerzahlern entzogen würden: „Kassen und Krankenhäuser beauftragen in der Regel große Kanzleien, und wir holen in der Regel noch medizinische Gutachten ein.“ Dazu kommen die Kosten, die im Vorfeld bei den Kassen durch die Überprüfung tausender Rechnungen entstehen. Wacker: „Das Geld wünscht sich mancher Patient wahrscheinlich für andere Dinge im Gesundheitssystem.“

Hoffnungsschimmer

Der Gerichts-Vizepräsident sagt, er sei auch aus Berufung Sozialrichter geworden, aber diese Streitfälle hätten kaum noch etwas mit dem eigentlichen Sozialrecht zu tun: „Das sind Fälle, die sonst vor Zivilgerichten landen.“

Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Richter ist, dass der Gesetzgeber für 2020 die Prüfquote auf zehn Prozent der Krankenhausrechnungen beschränkt hat. „Das verschafft uns irgendwann etwas Luft“, hofft Wacker. Aber auch die Krankenhäuser werden an die Kandare genommen: Für jede falsche Rechnung droht ihnen seit Januar eine Strafe von mindestens 300 Euro.

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