Ausschlussfristen im MDK-Verfahren?

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Die Rechtsprechung streitet nach wie vor darüber, ob die Regelungen zu der fristgebundenen Vorlage von Unterlagen an den MDK im Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 SGB V nach § 7 Abs. 2 PrüfVV eine materiell-rechtliche, auch die Gerichte bindende Ausschlussfrist darstellt.

In zwei aktuellen Entscheidungen kommen das Sozialgericht Kassel und das Sozialgericht Duisburg zu entgegengesetzten Ergebnissen.

Das SG Kassel hat im Urteil vom 04.09.2019 (– S 7 KR 772/16 –) die Auffassung der Krankenkassen, wonach es sich bei § 7 Abs. 2 PrüfVV um eine bindende Ausschlussfrist handelt zurückgewiesen.

Aus der Nichteinhaltung der Frist zur Vorlage von Unterlagen kann die Krankenkassen nach Ansicht des Gerichts kein Leistungsverweigerungsrecht in materiell-rechtlicher Hinsicht ableiten. Aus der Rechtsgrundlage des § 17c Abs. 2 KHG ergibt sich unter Berücksichtigung des Zwecks des Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1c SGB V nach Ansicht des SG Kassel keine Ermächtigung, eine Vereinbarung über eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist zur nachträglichen Rechnungskorrektur vor Ablauf der gesetzlichen 4-jährigen Verjährungsfrist und der in der Rechtsprechung des BSG festgelegten Zeit eines Einwendungsausschlusses zur Verwirkung festzulegen. Es bestehe daher kein Beweisverwertungsverbot, welches das Gericht bindet, selbst wenn Unterlagen nicht fristgerecht vorgelegt werden. Das SG Kassel nimmt sogar an, dass selbst wenn die Beteiligten der PrüfVV eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist in der genannten Vorschrift habe vereinbaren wollten, dies die Gerichte nicht bindet, weil diese Vereinbarung einer Ausschlussfrist nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 17 c Abs. 2 KHG gedeckt wäre. Die Annahme eines materiell-rechtlichen Ausschlusses überschreitet nach Meinung der Richter in Kassel den Gesetzeswortlaut.

Genau zum gegenteiligen Ergebnis kommt das SG Duisburg im Urteil vom 08.10.2019 (– S 60 KR 158/18 –).

Das klagende Krankenhaus hatte nach § 7 Abs. 2 PrüfVV nach Ansicht der Richter in Duisburg nur Anspruch auf den unstrittigen Rechnungsbetrag, weil es dem MDK die von diesem fristgerecht angeforderten Unterlagen ihrerseits nicht innerhalb der Frist des § 7 Abs 2 PrüfVV vollständig übermittelt hat. Dabei meinte das Gericht sogar, dass sich dieser Ausschluss auch auf Unterlagen bezöge, die der MDK gar nicht angefordert hatte. Denn ein im gerichtlichen Verfahren entscheidendes Röntgenbild war im Prüfverfahren nicht angefordert worden. Das SG Duisburg kam trotzdem zu Ergebnis, dass diese Unterlagen im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich wären, weil sich die Anforderungen des MDK auch auf „OPS-Nachweise (inkl. Komplexnachweise)“ sowie „weitere Unterlagen“ bezog, die „für die Behandlung relevant sein können“.

Entscheidend für die Auslegung des § 7 Absatz 2 PrüfVV als Ausschlussfrist ist nach Überzeugung der Richter in Duisburg der in der Gesetzesbegründung kommende gesetzgeberische Wille, den Parteien eine stärkere Eigenverantwortung bei ihren Modalitäten der Konfliktlösung einzuräumen und so gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und Bürokratie abzubauen. Dies komme nach Ansicht des Gerichts zum einem dadurch zum Ausdruck, dass in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 17c Absatz 2 KHG die Regelungsinhalte „nicht abschließend“ benannt sind  und Vereinbarungen durch die Selbstverwaltungsparteien „insbesondere“ zu den ebenda geregelten Sachverhalten zu treffen sind. Der Gesetzgeber ermächtigte die Selbstverwaltungsparteien in § 17c Absatz 2 KHG gar zu einer Abweichung von den Regelungen des SGB V. Dies zeige nach Meinung der Richter in Duisburg, dass der Gesetzgeber den Beteiligten, die sich auf Gleichordnungsebene gegenüberstehen einen großen Spielraum in der eigenverantwortlichen Regelung ihrer Belange einräumt. Ausweislich des Gesetzeszweckes sollen die Beteiligten durch die PrüfVV möglichst früh Klarheit über die gegenseitigen Ansprüche erhalten und Streitigkeiten möglichst einer frühzeitigen und endgültigen Klärung zugeführt werden. Diese Beschleunigungsmaxime würde nach Ansicht des Gerichts auch konterkariert, wenn dem Krankenhaus – nachdem sie die vollständige Zusendung der Unterlagen beim MDK versäumt hat – das gerichtliche Verfahren offen stünde, um dieses Versäumnis nachzuholen.

Die Entscheidungen zeigen auf, dass die rechtlichen Unsicherheiten im Umgang mit der PrüfVV und deren praktischen Handhabung immer noch nicht gelöst sind und die erheblichen Rechtsunsicherheiten der Anwender fortbestehen werden, bis das BSG diese grundlegenden Fragen klären wird. Aber selbst wenn das BSG die umstrittene Rechtsfrage zugunsten der Annahme einer materiellen Ausschlussfrist klären sollte, bleiben praktische Probleme, weil gerade bei „Massenprüfungen“ durch Krankenkassen, die Mitarbeiter teilweise schlicht überfordert sind, die Unterlagen fristgerecht vorzulegen. Dies gilt umso mehr, als nach Ansicht des SG Duisburg sogar eine inhaltliche Prüfung erfolgen müsste, was dann neben den explizit angeforderten Unterlagen alles für die Prüfung relevant sein soll. Die Annahme eines Ausschlusses der Verwertung von Unterlagen im gerichtlichen Verfahren, die der MDK gar nicht angefordert hat, geht zu weit und ist abzulehnen. Die nachträgliche Diskussion, ob das Krankenhaus die Entscheidungsrelevanz der Unterlagen hätte erkennen können, führt zu absurden Ergebnissen. Im Zweifel bleibt dann nur die Vorlage aller Behandlungsunterlagen, was dem auch vom SG Duisburg betonten Zweck der Beschleunigung des Prüfverfahrens widerspricht.

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