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Patientenwohl und Effizienz
Die Kliniklandschaft der Zukunft

Zu klein und ineffizient seien deutsche Krankenhäuser auf dem Land, legt eine aktuelle Studie nahe – das Patientenwohl leide. Tatsächlich erleichtern solche Kliniken aber auch Krankenbesuche und sichern die lokale Versorgung. Zwischen dem Status quo und ihrer Schließung gibt es einen Mittelweg.

Von Nikolaus Nützel | 05.08.2019
Ein Ärzteteam setzt einem Patienten während einer Knie-Operation in der Sana Klinik (OCM - Orthopädische Chirurgie München) in einem Operationssaal eine Knietotalendoprothese (Knie-TEP) ein.
Um bestimmte Behandlungen abrechnen zu können, müssen Krankenhäuser eine Mindestanzahl dieser Behandlung nachweisen können (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
Horst Vogel ist mit seinem Traktor zum Krankenhaus Hersbruck gekommen. Er war von Anfang an mit dabei, als eine Bürgerinitiative begonnen hat, gegen die Schließung der Klinik in dem 12.000-Einwohner-Ort in der Nähe von Nürnberg zu kämpfen. Ohne Erfolg: Am 1. Juni hat das Krankenhaus dichtgemacht. Horst Vogel hat einen Holzbetrieb in dem Dörfchen Unterkrumbach - manchmal legt er die fünf Kilometer nach Hersbruck mit dem Traktor zurück. Eine andere Möglichkeit, als sich mit dem eigenen Fahrzeug auf den Weg zu machen, gibt es auch kaum.
"Am Land draußen, wo ich herkomme, fährt in der Ferienzeit am Tag einmal ein Bus. Sagen Sie mir mal, wie da alte Leute oder Leute mit Behinderung auf einen Bahnhof kommen sollen oder weiterkommen. Es geht nicht."
Kurze Wege - auch für den Patientenbesuch
Deswegen habe er auch so sehr um das Krankenhaus Hersbruck gekämpft, erzählt Vogel. Die 13 Kilometer, die Patienten zum jetzt nächstgelegenen Krankenhaus in Lauf zurücklegen müssen, oder 36 Kilometer nach Nürnberg, klingen zwar erst einmal nach einer überwindbaren Strecke. Aber wer kein Auto hat oder nicht mehr selbst fahren kann, für den sei jeder zusätzliche Kilometer ein Problem. Das gelte nicht für die Patienten selbst, sondern auch für Verwandte oder Freunde.
"Sie sind sechs Stunden unterwegs, dass Sie einen Patienten zwei Stunden jemanden besuchen können."
Im Gebäude der Klinik hat jetzt nur noch eine orthopädische Arztpraxis ihre Räume. Die Krankenzimmer mit 60 Betten, die das Haus in seinen besseren Zeiten hatte, sind leer. Ein Patient, der aus der orthopädischen Praxis kommt, schüttelt den Kopf.
"Für mich ist es unbegreiflich, wie die das schließen konnten, war doch immer gut ausgelastet. Die Schließung, das ist ne ganz große Sauerei meiner Meinung nach."
Für kleine Krankenhäuser sind die Bedingungen in ganz Deutschland in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Bei bestimmten Eingriffen, wie zum Beispiel dem Einsatz von Knieendoprothesen, müssen die Kliniken eine bestimmte Zahl von Operationen vorweisen, damit sie die Behandlung abrechnen können. Auch bei der Versorgung von Notfällen müssen Kliniken eine bestimmte Ausstattung vorhalten, wenn sie nicht mit finanziellen Abschlägen bestraft werden wollen.
Vor allem aber sei eine grundlegende Umstellung der Vergütung im Jahr 2003 zum Problem geworden, sagt Angelika Pflaum, die die Bürgerinitiative zur Rettung des Hersbrucker Krankenhauses mit ins Leben gerufen hat:
"Ich denke, dass diese Fallpauschalen schon auch sehr viel mit Schuld sind, ja."
Die Fallpauschalen – im Fachjargon DRGs – sorgen dafür, dass jedes Krankenhaus von der Krankenversicherung für eine Behandlung die Kosten erstattet bekommt, die ein Patient mit einer bestimmten Diagnose üblicherweise im Durchschnitt auslöst. Aber wie in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft auch ist der Anteil der Fixkosten - etwa für Personal oder Computerausstattung - um so höher, je kleiner ein Krankenhaus ist – es sei denn es ein kleines Haus sucht sich ein ausgesprochenes Spezialgebiet.
Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, beantwortet auf einer Pressekonferenz der Barmer Krankenkasse zu Vorstellung des "Krankenhausreports 2018" Fragen von Journalisten.
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky hat selbst kürzlich an der Studie der Bertelsmann-Stiftung mitgearbeitet, in der es heißt, mehr als die Hälfte der Klinik-Standorte könnte geschlossen werden. (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
Ein größeres Krankenhaus kann das nutzen, was in der Betriebswirtschaft "Skaleneffekt" genannt wird. Kleinere Krankenhäuser kommen durch die Fallpauschalen deshalb in Schwierigkeiten, stellt Boris Augurzky vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung mit Sitz in Essen fest:
"Wenn ich aber jetzt nach Fall bezahlt werde, ist es schwierig, mit kleinen Fallzahlen, also wenig Patientenzahlen, diese Fixkosten abdecken zu können. Und deshalb sehen wir ganz klar, dass kleine Krankenhäuser größere wirtschaftliche Probleme haben als große Krankenhäuser. Das gilt auch für städtische. Also auch städtische kleine Krankenhäuser haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. Aber im ländlichen Raum gibt es halt mehr kleine. Deshalb greift das da stärker."
Augurzky sieht allerdings auch Vorteile für die Patienten, wenn wirtschaftliches Denken im Krankenhausbereich dazu führt, dass kleine Anbieter verschwinden und vor allem größere Häuser übrig bleiben. Dort gebe es mehr Routine und mehr Expertise – egal, ob es um die Versorgung von Schlaganfall-Patienten oder um Hüftprothesen geht. Der Gesundheitsökonom kennt Berechnungen von Kollegen, die rund zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland für verzichtbar halten.
Bertelsmann-Studie empfiehlt Klink-Schließungen
Er selbst hat kürzlich an einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mitgearbeitet, in der es heißt, mehr als die Hälfte der Klinik-Standorte könnte geschlossen werden. Augurzky selbst hält solche Szenarien für politisch kaum durchsetzbar. Seiner Ansicht könnte etwa ein Siebtel bis ein Achtel der Kliniken in Deutschland in den nächsten Jahren ohne große Probleme abgebaut werden – damit würde die Qualität in den verbleibenden Häusern besser werden, glaubt er.
"Wenn ich Eingriffe häufiger mache, bin ich da auch besser. Ich meine, das weiß jeder von sich aus dem Alltag: welchen Beruf man auch immer hat, wenn ich etwas oft mache, wiederholt eine Tätigkeit durchführe, dann werde ich da immer besser."
Viele Ärzte teilen diese Analyse. Es gibt in der Ärzteschaft allerdings auch Widerspruch gegen diese Einschätzung. Der Gastroenterologe Rainer Hoffmann aus der nordbayerischen Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber sieht nicht immer einen Vorteil darin, wenn große Kliniken kleine Häuser verdrängen.
Ärzte operieren einen Patienten wegen einer Versteifung der Wirbelsäule in einem OP-Saal.
Die Wirbelsäulen-Chirugie ist in Deutschland gut ausgebaut (imago images / Gustavo Alabiso)
"So sind zum Beispiel sehr viele Abteilungen für Wirbelsäulen-Chirurgie aufgebaut worden, was dazu geführt hat, dass Deutschland führend ist in der Operation von Wirbelsäulenerkrankungen."
Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung legt schon seit Jahren immer wieder Zahlen vor, wonach in Deutschland nicht nur Wirbelsäulen-OPs, sondern auch andere Operationen häufiger durchgeführt werden, als es medizinisch sinnvoll scheint. Über die Aussagekraft dieser Zahlen gibt es unter Ärzten intensive Debatten.
Der Gastroenterologe Rainer Hoffmann will dabei nicht alles, was Kollegen an großen Kliniken tun, grundsätzlich in Frage stellen – aber er findet es auch nicht richtig, wenn die Arbeit an Krankenhäusern wie in Rothenburg ob der Tauber mit seinen 140 Betten grundsätzlich in Frage gestellt wird. Und er versteht nicht, wie es sein kann, dass ein großer Teil der Land-Krankenhäuser Verlust macht.
"Das, was diese Häuser im ländlichen Raum, also Versorgungsstufe eins und zwei abdecken, ist das Gros der Erkrankungen in der Bevölkerung. Und wenn diese Kliniken in einer Größenordnung von etwa 40 Prozent angeblich defizitär sind, dann kann ich nur sagen: Niemand wird glauben, dass 40 Prozent der Chefärzte oder der Verwaltungsleiter unfähig sind, sondern dann sind diese Erkrankungen nicht entsprechend mit Geld hinterlegt."
Gerade Krankenhäuser auf dem Land dürften nicht nur streng nach ihrer Rentabilität bewertet werden, findet Hoffmann. Und bei der Frage, wie viele Krankenhäuser an welchen Stellen sich auf Deutschland verteilen, gehe es nicht nur um die Wege, die die Patienten zurücklegen müssen, betont er.
"Der Besuch eines Patienten im Krankenhaus ist einfach eine wichtige Sache im Kontext der Heilung. Die Schwestern haben ja, das ist allgemein bekannt, immer weniger Zeit für die Patienten. So dass also ein Krankenbesuch wichtig ist."
Das Problem ganz oben
Hoffmann hat deshalb mit anderen im März eine Petition an den Bundestag gestartet unter dem Titel "Stopp dem Krankenhaus-Sterben im ländlichen Raum". Bis September sollen 50.000 Unterstützer gewonnen werden. Der Mit-Initiator Hans-Peter Nitt setzt seine Hoffnungen auf die Entscheidungsträger in der Hauptstadt:
"Dass unsere Gedanken dort wahrgenommen werden, ich glaube, wenn dann die 50.000 erreicht werden, dass man dann vorgeladen wird, dass man dann entsprechend das auch vortragen kann - und das Problem sitzt also ganz oben."
Bislang hat die Petition allerdings erst rund die Hälfte der Unterstützer gefunden, die sie mobilisieren will, um das Problem zu lösen, das die Initiatoren "ganz oben" sehen – also in Berlin. Dort teilt in der Zentrale der Deutschen Krankenhausgesellschaft der Hauptgeschäftsführer Georg Baum die Anliegen der bundesweiten Petition aus der fränkischen Kleinstadt. Man dürfe große Krankenhäuser nicht gegen kleine ausspielen, sagt Baum. Er wünscht sich, dass genauer hingeschaut wird, welche Einrichtung was kann – und was nicht.
"Eine Lungenentzündung, eine Vergiftung, kleine Chirurgie, ein Beinbruch, das alles sind medizinische Leistungen, gerade jetzt auch im Hinblick auf die Demographie - geriatrische medizinische Versorgungsbedarfe, die keiner Spezialisierung bedürfen."
Forderungen, die Zahl der Kliniken in Deutschland drastisch zu senken, wie sie vor kurzem Wissenschaftler in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gestellt haben, gehen nach Ansicht der Krankenhausgesellschaft an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei
"Wenn wir die Auffassung vertreten, dass wir überall Hausärzte für medizinische Basisversorgung brauchen, dann haben wir im stationären Bereich auch einen Grundversorgungsbedarf. Wir brauchen deshalb Finanzierungsbedingungen, die solchen Kliniken das Überleben sichern."
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky, der auch an der kontrovers diskutierten Studie der Bertelsmann-Stiftung beteiligt war, kennt solche Argumente. Doch dahinter stehe einiges an Wunschdenken, glaubt er. Die Medizin habe sich immer weiter fortentwickelt und spezialisiert. Deshalb gebe es für Krankenhäuser, die nur eine Basisversorgung bieten wollen, gar nicht mehr die passenden Ärzte, argumentiert er.
Nachwuchs-Chirurgen zu sehr spezialisiert
"Vor 20, 30 Jahren, gab es noch den Chirurgen. Den hatten sie in einem Krankenhaus, meinetwegen 100 Betten, da gab es den Chirurgen, der konnte alles. Den gibt es gar nicht mehr. Sie könnten zum Beispiel, wenn dieser Chirurg in Rente geht, und davon gibt es gerade viele, die in Rente gehen, den gar nicht nachbesetzen, weil das von den Nachwuchs-Chirurgen gar nicht abgebildet wird.
Die sind dann Gefäßchirurgen, Viszeralchirurgen, die haben sich sehr weit spezialisiert und könnten dann von dem ganzen Spektrum, das so ein kleines Krankenhaus anbieten will, vielleicht nur 20 Prozent abdecken. Was machen Sie denn mit dem Rest?"
Die Weichenstellungen, dass Krankenhäuser sich stärker spezialisieren und zu größeren Einheiten zusammenschließen sollen, nimmt dabei die Politik vor. Allerdings sorgt das für Deutschland typische förderale Prinzip hier für eine bunte Konkurrenz unter den politischen Entscheidern. Die wichtigsten Gesetze, die die Rahmenbedingungen der Krankenhäuser setzen, werden in Berlin gemacht.
Vor Ort werden allerdings vor allem Kommunalpolitiker von den Bürgern in die Verantwortung dafür genommen, ob ein Krankenhaus erhalten bleibt – ganz egal, ob dieses Haus von der Kommune betrieben wird, oder ob der Träger kirchlich ist oder eine private Klinik-Kette.
Melanie Huml (CSU), Gesundheitsministerin von Bayern.
Melanie Huml (CSU), Gesundheitsministerin von Bayern, ist selbst Ärztin. (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
Der größte Teil der eigentlichen politischen Verantwortung liegt aber bei den Bundesländern, also auf der Ebene zwischen Bund und Kommunen. Wenn man dort nachfragt, was von gesundheitsökonomischen Berechnungen zu halten ist, wonach Deutschland mit der Hälfte der Krankenhäuser besser dran wäre, bekommt man etwas ausweichende Antworten, etwa von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml:
"Nicht jeder Blinddarm muss sofort im Universitätskrankenhaus operiert werden. Aber wenn ich jetzt eine ganz spezielle, schwierige Operation mit einer Krebserkrankung habe, dann ist es sinnvoll, dass ich vielleicht auch 100 Kilometer weit mich vom Spezialisten behandeln lasse. Aber das ist doch sinnvoll, sich das vom Patienten her zu überlegen, von der Krankheit zu überlegen, und nicht von irgendwelchen Zahlen. Jetzt streichen wir mal hier so und so viele Krankenhäuser weg - das halte ich nicht für sinnvoll."
Die CSU-Politikerin hat selbst Medizin studiert. Das Argument, dass erfahrene Spezialisten in größeren Kliniken besonders gute Arbeit leisten, kann sie nachvollziehen. Aber sie verstehe auch die Sorgen von Patienten, die Angst um ihr Heimatkrankenhaus haben, sagt sie. Die Politik müsse deshalb versuchen, beides zusammenzubringen, erklärt Bayerns Gesundheitsministerin.
Anreize für Kliniken
Es müsse Anreize für Kliniken geben, sich zu spezialisieren. Gegebenenfalls könne die Spezialisierung darin bestehen, dass ein Land-Krankenhaus sich vor allem um ältere Patienten kümmert, also am Ende mehr eine Kurzzeit-Pflege und Reha-Einrichtung ist als eine Klinik.
"Solche Umstrukturierungen wollen wir unterstützen, dass diejenigen auch den Mut haben, sich auf den Weg zu machen. Und das ist das, was wir vorhaben zu fördern, dass wir das eben unterstützen."
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU hat gleichzeitig aber auch allgemeine Hilfen für Krankenhäuser zugesagt, die sich um die flächendeckende Versorgung auf dem Land kümmern. Rainer Hoffmann, der von der fränkischen Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber aus eine bundesweite Petition für den Erhalt ländlicher Krankenhäuser gestartet hat, sieht darin ein wichtiges Signal.
"Das ist ein positives Zeichen der Politik für einen bestimmten Standort. Das halte ich schon für sehr bemerkenswert. Denn bisher war das nicht der Fall. Bisher hat man da nach dem Zufallsprinzip die Krankenhauspolitik betrieben."
Georg Baum, Hauptgeschäftsführer Deutsche Krankenhaus Gesellschaft e.V. (DKG).
Georg Baum, Hauptgeschäftsführer Deutsche Krankenhaus Gesellschaft (DKG), wünscht sich, dass genauer hingeschaut wird, welche Einrichtung was kann – und was nicht (imago images / Jürgen Heinrich)
Auch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft DKG findet man es grundsätzlich begrüßenswert, dass die Bundesregierung insgesamt 50 Millionen Euro an ländliche Krankenhäuser auszahlen will. Der DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum schaut gleichzeitig aber auch auf andere Zahlen. Nach seiner Rechnung hat die Bundesregierung vorher den Kliniken 250 Millionen Euro gestrichen. Sprich: Den Häusern fehlen nach seiner Rechnung unterm Strich immer noch 200 Millionen Euro.
"Deshalb sagen wir: Das ist Geld, das den Krankenhäusern zuvor weggenommen wurde. Das ist das Unschöne an dem Vorgang. Aber die Grundausrichtung, die ist richtig. In der Höhe natürlich nicht ausreichend, um Krankenhäuser, die Defizite in Millionenhöhe haben, dann wirklich effektiv abzusichern."
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky wünscht sich dabei weniger Emotionen und mehr Rationalität in der Debatte über die Zukunft ländlicher Kliniken. Es gehe nicht darum, sozusagen mit der Motorsäge große Teile der Krankenhauslandschaft zu amputieren. Der Wissenschaftler vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung wünscht sich intelligente, kreative Lösungen.
"Sie schließen eigentlich kein Krankenhaus und lassen dann eine Wüste übrig. Sondern es geht immer bei allen Krankenhaus-Schließungen darum, was ist danach das Alternativkonzept?"
Ein solches Alternativkonzept könnte beispielsweise darin bestehen, dass dort, wo heute ein kleines Krankenhaus steht, sich verschiedene Facharztpraxen ansiedeln, die möglicherweise auch ambulante Operationen anbieten. Ein solches Gesundheitszentrum könnte auch durch eine Art Kurzzeit-Pflege ergänzt werden, in der Patientenbetten verfügbar sind.
"Ich habe dann für ein paar Tage, vielleicht auch nach einem medizinischen Eingriff, der möglicherweise in der Stadt im großen Krankenhaus passiert, aber dann gehe ich zurück in meine Heimat und habe dort noch Kurzzeitpflege. Ganz wichtiges Thema. Und wir sollten solche Angebote viel mehr schaffen, wirklich im Sinne des Patienten, aus einer Hand gedacht, wären das für mich Zukunftsmodelle."
Zukunftsmodell vs. Vergütungsregeln
Das, was der Gesundheitsökonom als Zukunftsmodell sieht, kollidiert allerdings mit den Vergütungsregeln im deutschen Gesundheitswesen. Heute richten sich die Geldflüsse nicht in erster Linie danach, welches Gesundheitsproblem ein Patient hat, und wie dieses Problem am besten zu lösen ist. Wie das Geld fließt, entscheidet sich vielmehr danach, ob der Patient zu einem Arzt mit eigener Praxis oder in ein Krankenhaus geht. Im einen Fall wird die Behandlung über das Finanzsystem der Kassenärztlichen Vereinigungen abgewickelt.
Im anderen Fall greift die davon völlig getrennte Finanzierungslogik der Krankenhäuser. Und wann immer Kliniken versuchen, etwa mit ambulanten Operationen, in den angestammten Bereich der niedergelassenen Ärzte vorzudringen, gibt es massive Konflikte – ebenso wie es Konflikte gibt, wenn Ärzte mit eigener Praxis Leistungen anbieten, die die Kliniken als ihre Domäne ansehen. Doch diese Barrieren müssten überwunden werden, findet Boris Augurzky.
"Ja, Widerstände werden immens sein gegen solche Überlegungen. Aber sie werden zurückgehen, wenn wir merken, dass wir auf dem Land sonst schlechtere Versorgungen haben."
In der nordbayerischen Kleinstadt Hersbruck lässt sich währenddessen besichtigen, was geschieht, wenn eine Klinik dichtmacht, ohne dass es passgenaue Alternativkonzepte gibt – so sieht es zumindest Angelika Pflaum, die mit einer Bürgerinitiative für den Erhalt des 60-Betten-Hauses gekämpft hat. Ärzte würden ihre Praxen oft gerne in der Nähe eines Krankenhauses betreiben, sagt sie – vor allem, wenn sie selbst operieren und in der Klinik sogenannte Belegbetten nutzen können. Und Apotheker wiederum suchten die Nähe von Arztpraxen.
"Also es ist schon schlimmer gekommen, als wir gefürchtet haben. Inzwischen sind fünf Ärzte weg. Und das ist für unsere kleine Stadt furchtbar."
Allerdings setzen die Regeln der Marktwirtschaft die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen auch auf andere Weise unter Druck. Kliniken und Arztpraxen stehen im Wettbewerb mit Konkurrenten in den nächstgelegenen Ballungszentren. Im Gebäude der stillgelegten Klinik in Hersbruck hat jetzt eine orthopädische Arztpraxis ihre Räume. Ein Patient, der von einer Behandlung dort kommt, sieht Widersprüche in den Argumenten mancher Bürger aus der Region.
Im Zweifel doch in die große Klinik
"Die Leute sagen zwar, wir würden da gerne das Krankenhaus gerne hier haben, aber sie gehen dann doch woanders hin. Jeder, der was hat, man kriegt das ja im Bekanntenkreis mit, fährt nach Nürnberg ins Südklinikum, weil da die Ärzte sind, oder fährt nach Amberg oder wohin auch immer."
Auch der Gesundheitsökonom Boris Augurzky, der schon eine ganze Reihe von Klinikschließungen als Berater begleitet hat, hat diese Erfahrung gemacht: In Befragungen könne man feststellen, dass von 100 Anwohnern ländlicher Regionen, die sich für den Erhalt ihres Land-Krankenhauses stark machen, rund 50 im Zweifelsfall in eine andere Klinik gehen, sagt er. Er will diese Widersprüchlichkeit aber nicht verurteilen – man müsse die Psychologie verstehen, die dahintersteht.
"Die haben ja heute die Wahl: Sie können beides machen, in ihr kleines gehen oder in das große, städtische für komplexe Fälle. Jetzt kommt einer und sagt: ich nehme das kleine weg. Dann verschlechtern sie sich. Sie können immer noch in das Große gehen, das ist ja da, und das wäre auch oft zu empfehlen. Aber man hat etwas verloren, was man vorher hatte."
Horst Vogel von der Krankenhaus-Bürgerinitiative in Hersbruck will sich noch nicht damit abfinden, dass seine Stadt etwas verliert, was sie vorher hatte. Wenigstens ein Gesundheitszentrum, idealerweise mit einigen Krankenbetten – das ist das Mindeste, was die Initiative fordert.
"Wir wollen nicht aufhören, weil wir noch etwas erreichen wollen. Irgendetwas muss passieren."
Und um dieses Ziel zu erreichen, fährt er immer wieder von dem Dorf, in dem er wohnt, in die Kleinstadt Hersbruck – wenn es sich ergibt, dann auch mit dem Traktor.