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Landrat Bernhard Kern beklagt zu wenig Interesse der Bürger an Entscheidungsprozessen. (Foto: Lisa Schuhegger)

Landrat Bernhard Kern im Interview: Klinikenreform, Fachkräftemangel, Energiekrise

Berchtesgadener Land – Es sind unruhige Wochen im Landkreis. Vor allem die vom Kreistag beschlossene Strukturreform der Kreiskliniken Südostbayern (KSOB) sorgt für Unmut bei den Menschen. Landrat Bernhard Kern steht im Interview mit der Lokalzeitung Rede und Antwort zu aktuellen Fragen und Themen.


Herr Landrat, gehen wir gleich in medias res: Die neue Ausrichtung des Klinikenverbundes stößt vor allem wegen der Auflösung der Notfallversorgung in Freilassing und Berchtesgaden auf Widerstand. Ein Bürgerantrag soll eingereicht werden. Ist im Landratsamt schon Näheres bekannt?

Landrat Bernhard Kern: Ich weiß von einem möglichen Bürgerantrag nur aus der Zeitung, aber wir bereiten uns schon vor. Wir müssen klären, was das für uns im Kreistag bedeutet. Es gab noch einmal Gespräche mit den Kritikern, aber auch mit Dr. Reinhard Reichelt, der als Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Berchtesgadener Land ein wichtiges Verbindungsglied zu den niedergelassenen Ärzten ist. 

Hätte das nicht schon im Vorfeld der Entscheidung passieren müssen?

Kern: Die Informationsveranstaltungen haben stattgefunden. Gespräche mit Gruppen wie den Fördervereinen der Krankenhäuser oder dem Bund Naturschutz wurden geführt. Der Kreisausschuss und Kreistag tagten dazu mehrmals öffentlich. Ich und wir selbst informieren auf verschiedenen Kanälen – wenn man alles aufführt, ist die Liste lang. Es ist nur immer wieder so, dass die Resonanz gering ist. Und das bedauere ich wirklich sehr. 

»Zu wenig Interesse an Entscheidungsprozessen«

Nun tagt der Kreistag am Freitagvormittag, da müssen die meisten Menschen arbeiten.

Kern: Aber der Reichenhaller Stadtrat kommt abends zusammen. Als dort das Medizinische Konzept vorgestellt wurde, war außer den bekannten Interessenvertretern nur ein Bürger da, den man nicht einer der genannten Gruppen zuordnen kann. Das Gleiche bei einer Veranstaltung mit dem Krankenhausverein Freilassing im Gasthaus »Lederer«. Wir brauchten den Saal nicht, weil die interessierten Besucher nicht kamen. Die KSOB informiert auf ihrer Homepage ausführlich, doch wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme, kennen sie diese Inhalte nicht. Das Interesse für die Herleitung der Beschlüsse, also wie und warum wir zu Beschlüssen kommen, ist einfach nicht besonders gegeben. 

Am 19. September findet eine Informationsveranstaltung in Berchtesgaden statt. Was erwarten Sie?

Kern: Ich hoffe, dass viele kommen, um sich zu informieren. Ich werde versuchen, davon zu überzeugen, dass wir uns mit der Reform verbessern, dass die Umstrukturierung eine Chance ist: mit Traunstein als Schwerpunktklinik, Bad Reichenhall als Zentralklinikum im Berchtesgadener Land und die weiteren Standorte als spezialisierte Satellitenhäuser.

Warum wird die Notfallversorgung im Berchtesgadener Land überhaupt in Bad Reichenhall zentralisiert? Aus Kostengründen?

Kern: Natürlich müssen die Kliniken wirtschaftlich arbeiten, aber es sind vor allem Vorgaben des Gesetzgebers. Es geht um Qualität, um Spezialisierung und um Personal. Man möchte eine sofortige, qualifizierte Untersuchung garantieren, gerade bei Herzinfarkt oder Schlaganfall, wenn es um Minuten geht. Das kann man so nicht an allen drei Standorten im Berchtesgadener Land vorhalten. Das geben die Zahlen nicht her. Wie wichtig uns aber die Notfallversorgung ist, zeigt der Umbau der Notaufnahme in Bad Reichenhall, der jetzt noch getätigt wird, obwohl der Neubau beschlossen ist. Wir wollen eine best- und schnellstmögliche Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis. 

Aber genau das wollen auch diejenigen, die sich für die Aufrechterhaltung der Notaufnahmen starkmachen. Aus Bergwachtkreisen ist zu hören, dass man bereits heute im Tal so lange auf den Rettungswagen warten muss, dass man die Verletzten selbst schnell ins Berchtesgadener Krankenhaus fährt. Nach Reichenhall können die Ehrenamtlichen aber nicht auch noch fahren, nachdem sie stundenlang im Einsatz waren.

Kern: Wir wissen, dass wir eine Freizeitregion mit viel Tourismus sind. Das wird organisiert, mit Ausgleich in Monaten wie November etwa. Dafür gibt es das TRUST-Gutachten (Trend- und Strukturanalyse des Rettungsdienstes in Bayern), das vierteljährlich angeschaut und optimiert wird. Deshalb wird in Berchtesgaden nicht nur der KSOB-Vorstandsvorsitzende Dr. Uwe Gretscher da sein, sondern auch der Ärztliche Leiter der Integrierten Leitstelle Rettungsdienste, Dr. Joaquin Kersting, sowie Vertreter der Rettungsdienste. Auch in Berchtesgaden wird es das vollumfängliche Programm für schwere Notfälle nicht mehr geben können. Aber wer eine Klinik anfährt, wird sicher auch künftig nicht weggeschickt. 

Ist aber nicht genau das ein Problem? Deutschlandweit wird schon lange diskutiert, dass zu viele Patienten, die keine Notfälle im medizinischen Sinn sind, in den Notaufnahmen Hilfe suchen.

Kern: Das ist das Thema. In die Kliniken kommen viele, die eigentlich in die Hausarztpraxen gehören. 

Zu wenig Personal,geringere Arbeitszeiten

Niedergelassene Ärzte und ihre Mitarbeiter waren in der Pandemie aber auch bis zum Anschlag gefordert, haben den Großteil der Covid-Patienten versorgt und viel ambulant aufgefangen, was stationär nicht möglich war. Mit der Covid- und Grippe-Sommerwelle standen wieder Patienten vor den Praxen Schlange oder warteten lange auf Vorsorgetermine. Wie sollen die Praxen noch zusätzliche Notfallversorgung stemmen?

Kern: Da sind wir bei der allgemeinen Personalnot. Da arbeiten wir daran. Das ist übrigens auch ein Argument für den Neubau des Zentralklinikums. Das Arbeitsumfeld wird moderner und damit interessanter für die Fachkräfte. Doch es geht nicht nur um einen Fachkräftemangel, ich nenne es einen Arbeitskräftemangel. Es fehlt überall, in allen Branchen. Und die Zeiten haben sich verändert. Viele wollen nicht mehr so viel arbeiten und Stunden reduzieren – darf man das überhaupt noch sagen?

Weil Ihnen vorgeworfen wurde, Sie geben damit dem Personal eine Mitschuld am Mangel? Das Thema muss trotzdem öffentlich diskutiert werden, denn der Trend ist eindeutig da. Dazu kommen die wirklich dramatischen Zahlen, die 2020 im Kreistag mit der Sozialraumanalyse vorgestellt wurden. Was aktuell sichtbar wird – die Flucht aus Berufen mit belasteten Schichtdiensten, in der Pflege und in der Gastronomie, Handwerker, die keine Aufträge mehr annehmen können, Geschäfte, die Öffnungszeiten reduzieren: Wie steuern Sie dagegen – als Arbeitgeber und als Lokalpolitik?

Kern: Im Landratsamt beginnen jetzt fünf Azubis ihre Ausbildung, nächstes Jahr sollen es sogar sechs sein. Ich kenne aber auch die Schwierigkeiten, die die Firmen und Unternehmen haben. Die Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice nimmt sich intensiv des Themas an. Wir haben die Azubi-Challenge, unsere Berufsmessen und die Woche der Gesundheitsberufe – dazu drehten wir gerade auch einen Spot mit Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Politisch arbeiten wir die Ergebnisse der Sozialraumanalyse ab, es gibt Facharbeitsgruppen, die sich zum Beispiel um die Integration kümmern. Da geht es um die Flüchtlinge von 2015, aber auch um die Ukraine-Flüchtlinge, bei denen wir noch nicht genau wissen, wie viele von den 1 200 hierbleiben. Wir bekommen aber wahrscheinlich in fünf bis zehn Wochen weitere Zuweisungen, hat uns die Regierung von Oberbayern mitgeteilt. Die Integrationslotsen unterstützen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wir wissen, dass zum Thema auch die Wohnungssituation gehört. Wir müssen dafür sorgen, dass sie der eigenen Bevölkerung nicht abgehen. Nicht zuletzt gehört auch das Angebot an Schulen und Kitas dazu. Wir arbeiten daran. Das Handwerk aber wird auf jeden Fall eine Hauptaufgabe, eine Herausforderung bleiben. 

Das ist auch im Kreistag angesprochen worden, unter anderem sollen Schulen und BGLW früher Eltern informieren, die spätestens in der vierten Klasse eine erste Vorentscheidung für die Kinder treffen. Wie schaut es im Bildungsbereich aus?

Kern: Im Bildungsbereich sind wir in der Bildungsregion BGL gut aufgestellt. Ich habe beispielsweise im Anschluss an dieses Interview ein Treffen wegen des Karlsgymnasiums, da haben wir jetzt das nötige Grundstück für eine Erweiterung erhalten. Dafür sind wir der Congregatio Jesu sehr dankbar. Am Sonderpädagogischen Förderzentrum St. Zeno (SFZ) können wir die Erweiterungen am 23. September feiern. Beim Rottmayr-Gymnasium sind wir in der Planungsphase und wollen im Oktober die Anwohner informieren, welche Einschränkungen und Belastungen auf sie zukommen, wenn gebaut wird. Hinsichtlich des Neubaus der Berufsschule Berchtesgadener Land kommen wir gut voran. Beim Bebauungsplan arbeiten wir mit der Stadt Freilassing gut zusammen. Ich rechne mit einem Spatenstich im Herbst 2024. Zum Thema Ausbildung veröffentlicht die BGLW in diesem Jahr bereits die vierte Ausgabe der Ausbildungsbroschüre »Mach Dein Eigenes Ding«. Dort stellen zahlreiche Ausbildungsbetriebe ihr Ausbildungsangebot vor.

Energiekrise: »Alle Potenziale ausschöpfen«

Große Belastungen kommen auf die Bevölkerung auch wegen der Energiekrise zu. Sie haben sich gerade wieder starkgemacht für Wasserkraft. Wie viele Kraftwerke gibt es im Landkreis, wie viel Energie liefern sie? Und für wie viele läuft ein Verfahren?

Kern: Aktuell sind im Landkreis 75 Wasserkraftwerke in Betrieb, davon haben 68 Wasserkraftanlagen eine installierte Leistung von weniger als 500 kW. Diese 68 Wasserkraftanlagen erzeugen jährlich insgesamt 17,2 Millionen Kilowattstunden Strom und decken damit rund 10 Prozent des Strombedarfs aller Privathaushalte im Landkreis. Alle 75 Wasserkraftanlagen – inklusive große Anlagen über 500 kW – decken rund 25 Prozent des Strombedarfs aller Privathaushalte im Landkreis. Für fünf Wasserkraftwerke läuft das Verfahren hinsichtlich einer Neuerteilung.

Ich bin der Meinung, gerade jetzt, wenn die Lage der Energieversorgung so prekär ist, müssen wir in der Region alle Möglichkeiten gemeinsam nutzen. Das gilt auch für die Windkraft, die laut Regionalplan etwa am Teisenberg und im Bereich zwischen Laufen und Kirchanschöring möglich ist. Wir müssen alle Potenziale, die wir in der Region haben, ausschöpfen: Sonne, Wasser und Wind.

Das Interview mit Landrat Bernhard Kern führte Sabine Zehringer.