CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2023; 85(07): 649-656
DOI: 10.1055/a-1926-6818
Übersichtsarbeit

Weiterentwicklung und Vernetzung der onkologischen Versorgungsstrukturen, der Qualitätssicherung und der Forschung

Further Development and Interoperability in Oncological Care Structures, Quality Control and Research
Monika Klinkhammer-Schalke*
1   Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT)
2   Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg
12   Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e.V. und ZeGV
,
Simone Wesselmann*
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
,
Johannes Bruns
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
,
Gerd Nettekoven
4   Deutsche Krebshilfe e. V.
,
Anett Tillack
5   Sprecher der Plattform § 65c Register
,
Markus Follmann
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
,
Volker Arndt
6   Deutsches Krebsforschungszentrum
,
Ullrich Graeven
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
,
Tobias Hartz
5   Sprecher der Plattform § 65c Register
,
Thomas Illmer
7   Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO)
,
Elisabeth C. Inwald
1   Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT)
2   Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg
8   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg am Caritas-Krankenhaus St. Josef
,
Thomas Kaiser
9   Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
,
Monika Nothacker
10   Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)
,
Olaf Ortmann
1   Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT)
2   Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
8   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg am Caritas-Krankenhaus St. Josef
,
Sabine Schmidt
11   Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA Geschäftsstelle)
,
Jochen Schmitt
12   Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e.V. und ZeGV
,
Sylke R. Zeissig
1   Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V. (ADT)
,
Thomas Seufferlein
3   Deutsche Krebsgesellschaft e. V.
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Wie ist eine bessere Vernetzung von Medizinischen Leitlinien, Implementierung, Umsetzung und Messung des Outcomes in der onkologischer Versorgung möglich – sowohl für Erkrankte als auch für Leistungserbringer:innen ist Ziel der 2019 auf den Weg gebrachten Querschnitts-Arbeitsgruppe „Qualität und Vernetzung“. Der folgende Artikel gibt eine Übersicht über bisher erreichte Ziele in Leitlinien-Entwicklung, Qualitätsindikatoren-Entwicklung und Dokumentation in Krebsregistern.


#

Abstract

How can we improve the interoperability of medical guidelines and the implementation and measurement of outcomes in medical health care for cancer patients as well as for care providers? This is the aim of the working group “Quality and Cross-linking”. The following publication gives an overview of the targets reached in the development of guidelines together with quality indicators and documentation in cancer registries.


#

Hintergrund

Im Handlungsfeld 2 „Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung“ [1] des von Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT), Deutscher Krebsgesellschaft (DKG) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) im Jahr 2008 initiierten Nationalen Krebsplans steht die qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen mit Krebserkrankungen im Vordergrund. Voraussetzung hierfür ist eine Transparenz über die Leistungsfähigkeit und die Behandlungsergebnisse der behandelnden Einrichtungen. Im Handlungsfeld 2 wurden dafür u. a. drei miteinander verbundene Ziele definiert, entwickelt und verabschiedet:

  • Ziel 5: Zertifizierung und Qualitätssicherung onkologischer Einrichtungen (Ziel 5),

  • Ziel 6: Förderung der Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien und ihrer Anwendung im klinischen Alltag (Ziel 6),

  • Ziel 8: Etablierung einer aussagekräftigen onkologischen Qualitätsberichterstattung durch klinische Krebsregister (Ziel 8)

Das Ziel 8 führte zur Veröffentlichung des neuen Krebsfrüherkennungs- und Registergesetzes mit gesetzlichen Vorgaben für die Etablierung flächendeckender klinischer Krebsregister in allen Bundesländern [2]. Durch das Zusammenwirken der in den Zielen 5, 6 und 8 entwickelten Maßnahmen ergibt sich ein Qualitätszyklus ([Abb. 1]). Dieser definiert in einem fortwährenden Prozess die Qualität der onkologischen Versorgung (Leitlinien), macht sie transparent und nachprüfbar (Qualitätsindikatoren, klinische Krebsregistrierung, Zertifizierungskriterien) und fördert sie, indem die Ergebnisse (klinische Krebsregistrierung) sowohl an die Leitliniengruppen (LL-Gruppen) als auch an die Behandler selber zurückmeldet werden bzw. dort zu Verbesserungsprozessen Anstoß geben (Weiterentwicklung von Leitlinien und Zertifizierungskriterien).

Zoom Image
Abb. 1 Qualitätszyklus in der Onkologie.

Um die einzelnen Aufgaben der genannten Ziele des Nationalen Krebsplans enger miteinander zu verzahnen und abgestimmte Schnittstellen zu schaffen, setzte die Steuerungsgruppe des Nationalen Krebsplans 2019 die Querschnitt-Arbeitsgruppe (Querschnitt-AG) „Qualität und Vernetzung“ ein. Die Festlegung klarer Zuständigkeiten und Benennung von Ansprechpartner:innen ermöglicht eine stetige und regelhafte Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Leitlinien-Entwicklung, Qualitätsindikatoren-Entwicklung und Dokumentation in Krebsregistern. Eine zeitnahe Implementierung medizinischer Leitlinien in die Behandlung zu erreichen und die Umsetzung und Verbesserung der Qualität onkologischer Versorgung darzustellen – sowohl für Erkrankte als auch für Leistungserbringer:innen – ist das gemeinsame Ziel.

Die drei Unterarbeitsgruppen (U-AG) der Querschnitts-AG – Leitlinien, Qualitätsindikatoren (QI) und Dokumentation – wurden beauftragt, die fehlenden Vernetzungen zu den jeweils anderen Teilbereichen in der Onkologie zu benennen, Lösungsansätze zu formulieren und gemeinsam in die Umsetzung zu bringen. Den politischen Entwicklungen folgend und die Grundlage des Qualitätszyklus weiterentwickelnd, hat die gemeinsame Arbeit der U-AGen im Verlauf auch Möglichkeiten für die Nutzung der versorgungsnahen Daten (VeDa) aus der Krebsregistrierung und aus den zertifizierten Zentren identifiziert. Die wichtigsten Ergebnisse sowie laufende und geplante Initiativen der U-AGen werden im Folgenden dargestellt.

Leitlinien

Die U-AG Leitlinien berichtet seitens des Leitlinienprogramms Onkologie (OL) der DKG, DKH und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und fokussiert auf die Schnittstellen für die Erstellung leitlinienbasierter QI und die Rückmeldung gemessener und analysierter Daten seitens der Register und der Zertifizierung.

In den letzten Jahren wurde die Methodik der Erstellung von QI – basierend auf starken Empfehlungen der Leitlinien – durch das OL weiter ausgearbeitet und für die Situation der Aktualisierung von Leitlinien erweitert, seit 2021 gibt es die Version 3.0 des Methodenpapiers [3].

Die jährliche Gesamtübersicht aller onkologischen Leitlinienthemen zeigt, dass aus 30 Leitlinienthemen 221 Qualitätsindikatoren (Range: 1 bis 13 pro Leitlinie) abgeleitet wurden [4]. Auch wurde evaluiert, wie viele der von den LL-Gruppen definierten QI-Vorschläge implementiert werden konnten [5] [6] [7].

Darüber hinaus wurde im OL ein Projekt konzipiert mit dem Ziel, Forschungsfragen aus den LL-Gruppen zu definieren und zu klären, inwieweit zu deren Beantwortung auch Register- und Zertifizierungsdaten genutzt werden können, um die Versorgungsrealität abzubilden oder ob auch Registerstudien initiiert bzw. sogar genutzt werden müssen, sofern eine Beantwortung durch herkömmliche RCTs nicht oder nicht ausreichend möglich erscheint. Hierzu fand im Januar 2021 ein Webinar unter Beteiligung von LL-Koordinator:innen, Vertreter:innen der Krebsregister und Zertifizierung, des IQWiG und Methodiker:innen des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWI) und des OL Office statt. Diese gemeinsame Aktion wird fortgesetzt mit dem Ziel, sowohl den Prozess der Generierung von Fragestellungen zu standardisieren als auch einzelne Projekte zu pilotieren.

Beispielhaft ist hier die Beantwortung einer Fragestellung aus der Leitlinie Kolorektales Karzinom mit den von der ADT zusammengeführten bundesweiten Daten Klinischer Krebsregister 2020 dargestellt:

Besteht eine Indikation für eine adjuvante Chemotherapie nach neoadjuvanter Therapie des Rektumkarzinoms?

Auf Grundlage der Datenanalysen wurde gemäß PICO-Schema vorgegangen [8]. Es wurden 13.568 Patient:innen eingeschlossen und das kumulative Überleben mit und ohne adjuvante Chemotherapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie beim Rektumkarzinom – stratifiziert nach Stadien und adjustiert nach Alter, Geschlecht, Operation, Radiochemotherapie – ausgewertet [9]. Nur für die Stadien I und III, N1 konnte ein Benefit im Outcome aufgezeigt werden ([Abb. 2a, b]).

Zoom Image
Abb. 2 a Postoperative Chemotherapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie beim Rektumkarzinom.; b Ergebnisdarstellung der bundesweiten Daten klinischer Krebsregister.

Des Weiteren ist eine Verzahnung der AMNOG-Prozesse (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, frühe Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §35a SGB V) mit der Aktualisierung der Leitlinien geplant. Zum einen können Aufarbeitungen von Dossierbewertungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach §35a SGB V und Health Technology Assessment (HTA)-Berichten als Evidenzbausteine in Leitlinien integriert, auf der anderen Seite können neue Wirkstoffe strukturiert in die Fortschreibung von Leitlinien eingebracht werden.

Eine weitere Initiative widmet sich der Einbindung von Leitlinieninhalten in die Inhalte des Medizinstudiums. In einer Kooperation mit dem Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz wird angestrebt, lernzielkatalogrelevante Leitlinieninhalte auf Empfehlungsebene mit der Datenbank der Prüfungsinhalte abzugleichen und NKLM-relevante (Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin) Leitlinieninhalte für Studierende adäquat aufzubereiten und entsprechend zu aktualisieren. Wesentlicher Baustein für die Weiterentwicklung der Leitlinienarbeit ist die Digitalisierungsstrategie innerhalb des OL. Hier wurde mit der Entwicklung eines Content Management Systems (CMS) die Basis geschaffen, um die aufwändigen Arbeitsprozesse zu unterstützen und eine Vernetzung zu anderen Datenbanken und Systemen – wie zum Beispiel den Krebsregistern und dem Zertifizierungssystem für onkologische Einrichtungen – zu ermöglichen. Schon jetzt wurden damit Kooperationen mit der AMBOSS GmbH zur weiteren Dissemination der Leitlinieninhalte an junge Ärzt:innen ermöglicht, ebenso wie eine Zusammenarbeit mit Computerlinguist:innen, die die Gesamtinhalte der 30 onkologischen Leitlinien als Textkorpus nutzen können [10].


#

Qualitätsindikatoren

Die U-AG Qualitätsindikatoren (QI) konnte in Zusammenarbeit mit den Vertreter:innen der Krebsregister, der zertifizierten Zentren und des OL erreichen, dass die im Rahmen der Leitlinienerstellung bzw. -aktualisierung definierten QI (siehe Abschnitt Leitlinien) unter Berücksichtigung des einheitlichen onkologischen Basisdatensatzes (oBDS) operationalisiert werden [9]. Dieser sehr wichtige Schritt führt erstmals zu bundesweit einheitliche Rechenregeln für QI, die damit in Zentren und Krebsregistern in gleicher Weise berechnet werden können. Das Dokument wird fortlaufend bearbeitet und steht allen Beteiligten und Interessierten zur Verfügung.

In dem Prozess wurde nochmals deutlich, wie entscheidend sowohl ein aktueller oBDS als auch organspezifische Module sind, damit QI der aktuellen Leitlinien im klinischen Alltag im Sinne der Qualitätstransparenz und -verbesserung genutzt werden können. Dazu gehört auch, in den Leitliniengruppen das Bewusstsein zu schaffen, dass sich QI an dem oBDS orientieren müssen, um aufwendige Zusatzdokumentationen für die Behandelnden zu vermeiden. Von Seiten der Vertreter:innen der Krebsregistrierung wurde vereinbart, die Dokumentationsgrundlagen, also den oBDS, anzupassen und organspezifische Besonderheiten, u. a. in Form der organspezifischen Module, aber auch darüberhinausgehender Dokumentationsfelder, zu definieren. Die Arbeit der U-AG QI hat die Zusammenarbeit der Akteur:innen wesentlich befördert und ein gemeinsames Verständnis geschaffen, das sich in den neu etablierten Prozessen sehr gut widerspiegelt. Diese Entwicklung wurde auch in dem Kabinettsentwurf des Gesetzes für die Zusammenführung von Krebsregisterdaten und hier im Speziellen in den Änderungen des §65c SGB V aufgegriffen, so dass alle Initiativen gut ineinandergreifen [11].

Darüber hinaus wurde aus der U-AG QI initiiert, dass länderspezifische Erwartungen der meldenden behandelnden Ärzt:innen bezüglich der Rückmeldungen durch die Krebsregister abgefragt werden, die in den entsprechenden Formaten berücksichtigt werden sollen (z. B. Abbildung von QI). Das Ziel ist dabei, bundeseinheitliche Rückmeldungen an die meldenden Ärzt:innen zu ermöglichen.


#

Dokumentation

Nach Etablierung der klinischen Krebsregistrierung muss die Nutzung dieser bevölkerungsbezogenen, sektorenübergreifenden und versorgungsnah erfassten Behandlungs- und Verlaufsdaten durch Leitliniengruppen, zertifizierte Zentren, Kliniken und Praxen im Vordergrund stehen.

Dazu wurden Vertreter:innen von Krebsregistern in LL-Gruppen des OL und in die Entwicklung von QI einbezogen, um die Datenerhebung in der Versorgung zeitnah und auf einheitlicher Grundlage zu ermöglichen (siehe Abschnitt Leitlinien und QI). Darüber hinaus soll ein Prozess entwickelt werden, der es ermöglicht, die Ergebnisse der Datenauswertungen der Krebsregister bei der Erarbeitung der QI der Leitlinien zu berücksichtigen. Ebenso müssen regelmäßige Auswertungen der Registerdaten zu definierten Fragestellungen für Leitliniengruppen zur Verfügung gestellt werden (siehe Abschnitt Leitlinien). Im Rahmen des neuen Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten [11] ist bereits vorgesehen, dass Krebsregister, ADT, DKG, DKH und das Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut (ZfKD) ein Konzept für eine Plattform entwickeln, über die die Machbarkeit von Fragestellungen zentral geprüft und die Daten on demand, ggf. auch nach Linkage mit zusätzlichen Datenquellen, zusammengeführt und analysiert werden.

So wird ein Prozess der interdisziplinären Validierung aufgebaut, der seit 2006 von der ADT in Kooperation mit den Krebsregistern und der DKG auf freiwilliger Basis gelebt wird [10]. Diese bereits existierenden Prozesse werden regelhaft und stetig mit klaren Strukturen und Zuständigkeiten weiterentwickelt.

Weiterhin sind regelmäßige Rückmeldungen an Ärzt:innen zum Stand der Implementierung und Umsetzung der QI in die Versorgung in den einzelnen Bundesländern erforderlich. Aktuell werden von den Krebsregistern einheitliche Rückmeldeberichte entwickelt, so dass sowohl bundeslandspezifische Ergebnisse in Qualitätskonferenzen diskutiert und gemeinsame Strategien zur Versorgungsverbesserung auf den Weg gebracht werden können als auch länderübergreifende Handlungsempfehlungen möglich werden.

Die Daten klinischer Krebsregister ermöglichen auch, dass offene Fragestellung aus Leitlinien, deren Beantwortung bisher nur auf der Grundlage von Expertenmeinungen möglich ist, auf valider Datenbasis beantwortet werden können. Ferner können Forschungsfragen mit versorgungsnahen Daten der Krebsregistrierung beantwortet werden. Derzeit ist dies auf regionaler Ebene möglich. Nachdem der von den Krebsregistern der Länder an das ZfKD zu liefernde epidemiologische Datensatz auf Basis des geltenden Bundeskrebsregisterdatengesetzes (BKRG [2]) in einer ersten Stufe um weitere Daten der klinischen Krebsregistrierung erweitert wurde, werden mit der Umsetzung der Konzeption der Stufe 2 (Gesetz zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten [10]) spezifische Fragestellungen zeitnah, niederschwellig, unter Einbeziehung der Krebsregister und unter Nutzung anderer notwendiger Datenquellen bundesweit möglich sein. Zwingend notwendig und bisher noch nicht umgesetzt ist eine Vereinheitlichung der Datenbeantragung in den einzelnen Bundesländern und die Schaffung von Möglichkeiten für eine zeitnahe und barrierearme Nutzung bundesweiter Krebsregisterdaten on demand.

Zusätzlich müssen regelhaft technische und strukturelle Schnittstellen zur Zusammenführung der Dokumentationen anderer Qualitätssicherungs-Systeme und der Dokumentation in Spezialregistern geschaffen werden.

Hier muss die Stufe 2 des Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten datenschutzrechtlich klare Lösungen zu Linkage – Möglichkeiten festlegen, die, je nach Anlass, die Verbindung unterschiedlicher Systeme (Biobanken, Molekulare Tumorboard, Nationales Netzwerk Genomische Medizin – nNGM etc) ermöglichen. In diesem Zusammenhang muss auch eine aktuelle und vollständige Übersicht zu Qualitätssicherungssystemen und Spezialregistern erstellt und ein Vorgehen zur Vermeidung von Doppel- und Mehrfachdokumentation festgelegt werden.

Nur so ist eine umfassende und breite Nutzung vorhandener Daten in der Onkologie möglich, die ob der Vielfalt medizinischer Entwicklungen in diesem Bereich für die zu versorgenden Erkrankten auch dringend erforderlich ist. Die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten der Daten klinischer Krebsregister ([Tab. 1]) sind bereits erarbeitet worden und können als Grundlage für weitere Entwicklungen und Verbindungen zu anderen Datenquellen und Änderungen der Ländergesetze herangezogen werden.

Tab. 1 Zusammenstellung der Nutzungsmöglichkeiten klinischer Krebsregisterdaten.

Nutzungsmöglichkeiten

Nutzergruppen

Datenschutz

Konkreter Mehrwert

Stufenmodell nach Referentenentwurf

Seltene Tumore (Datenpool zur Fallzahlerhöhung)Beispiele:Vaginal Ca, Speicheldrüse,Zielgerichtete personalisierteTherapien,Erhöhung des Datenpools(Fallzahlerhöhung)ca. 200/Jahr gesamtca 5/Jahr im Zentrum

Behandler, Leitlinienkommissionen

Anonyme oder personenbezogene Einzeldaten

Bessere und gezieltere Informationen über Menschen mit seltenen Erkrankungen

Stufe 2* On Demand

Spezifische DatenzusammenstellungenKlinische Einzelfragen, Beispiel: Ist ein Lymphadenektomie beim Zervixkarzinom sinnvoll?

Kliniker, Leitlinienkommissionen, Forscher, Fachgesellschaften

Patientenselbsthilfe, Patient*innen

Anonyme Einzeldaten ggf aggregiert

Personenbezogene/pseudonymisierte Einzeldaten/Leistungserbringer ggf. gruppiert

Entscheidungsgrundlage auf populationsbezogen Daten der Versorgungsebene (Nutzung versorgungsnaher Daten).

Ergänzende Informationen zu Studienergebnissen mit schwachem Evidenzgrad oder aus Kollektiven mit begrenzter Vergleichbarkeit

Stufe 1*

Stufe 2 On Demand bei detaillierten Anfragen

Forschungsfragestellungen aus Leitlinienkommissionen

Beispiel Ist adjuvante Chemotherapie beim Enddarmkrebs in allen Stadien notwendig, welches ist das beste Outcome?

z. B. für Leitlinienempfehlung, Behandlungsplanung, Tumorkonferenzen, Share Decision Making, für Nutzenbewertungen nach §35a SGB V primär interventionelle Studien mit versorgungsnahen Daten (z. B. registerbasierte RCTs)

Ergebnisdarstellung zweckmäßiger Vergleichstherapien zur Entscheidungsgrundlage

Nutzen und Wirksamkeitsbewertung von Therapien (Real World Evidence (RWE),Versorgungsnahe Daten (VeDa) und Bewertung von Zusatznutzen)

Entscheidungsgrundlage auf populationsbezogen Daten der Versorgungsebene Zusätzlich relevante Informationen zu Ergebnissen randomisierter Studien, falls diese vorliegen.

Föderale und nationale Gesundheitsberichtserstattung

Gesundheitspolitik/Planung

Aggregierte Daten

Krebs in Deutschland (erweitert)

Planung von Krankenhauskapazitäten,

Stufe1*

Weiterentwicklung der Qualität und Struktur der Versorgung

  • Benchmarking

  • Mindestmengen

  • Qualitätssicherung

  • regionale und bundesweite Qualitätskonferenzen

Länderübergreifende Versorgungstransparenz

Beispiel: Pankreaskarzinom: in welchem Stadium überleben Patienten mit welcher Therapie am Besten?

Kliniker, Kliniken, Fachgesellschaften, Gesundheitspolitik, Krankenkassen

Gemeinsamer Bundesausschuss

Darstellung der sektorenübergreifenden Versorgung , ggf Aufdeckung von Versorgungdefiziten, Entwicklung von Verbesserungsstrategien und erneute Analyse (PDCA)

Stufe 2

Länderübergreifende Versorgungstransparenz

Gesundheitspolitik/Planung

Aggregierte Daten

Versorgungsqualität in bundeslandübergreifend

z. B. Überleben, Rezidivhäufigkeit,

Stufe 1 *

Länderspezifische Versorgungstransparenz

Leistungserbringer, Gesundheitspolitik, Fachgesellschaften

Gruppierte Erkrankungsdaten

Leistungserbringerdaten

Versorgungsqualität in den Bundesländern

Krebsregister in den Bundesländern

Evaluation von gesundheitspolitischen und bevölkerungsmedizinischen Programmen Beispiel Mortalitäts-und Intervallcarzinome bei Screeningprogrammen

GBA

Gesundheitspolitik

Anspruchsberechtigte

Darstellung der Wirksamkeit von Screeningprogrammen. Zur Entscheidungshilfe und besseren Inanspruchnahme für Patienten

§25a SGB V

Personenbezogenen Kopplung mit anderen Datenbeständen (Studien, Kassen, Rentenversicherungen, etc)

Beispiele: Krebsregisterdaten mit Daten molekularer Tumorboards und Biobanken, oder Confounder durch Krankenkassendaten

Forscher/Krankenkassen/Versicherungen/Biobanken

Synchrone Pseudonymisierung und doppelt unabhängiger Pseudonymisierungsdienste

Erweiterte Datenbasis zur Beantwortung von Therapie- und Überlebenseffekten.

Entscheidungshilfe für Patienten

Stufe 2*

Inklusive Pseudonymisierungsdienste

Krebsregisterdaten für die Zusammenarbeit mit zertifizierten Zentren Beispiel: Zertifizierungen der Deutschen Krebsgesellschaft

Leistungserbringer

Patient*innen

Zertifizierungskommissionen

Forscher

Personenbezogene Einzeldaten

Unabhängigkeit und Neutralität

Vermeidung von

Doppeldokumentation und doppelter Datenhaltung

* Stufe 1 und 2 bezieht sich auf das Arbeitspapier für einen Entwurf der bundesweiten Zusammenführung Klinischer Krebsregisterdaten; Mindestmengen, Letalität, Krankenhausletalität und Langzeitüberleben (z. B. Pankreaskarzinom, in welchem Stadium überleben Patienten mit welcher Therapie am Besten; Herr Dr. Helou, Frau Dr. Semrau, Herr Prof. Dr. Seufferlein, Frau Dr. Tillack, Herr Dr. Hentschel, Frau Prof. Dr. Klinkhammer-Schalke Stand 04.12.2020.


#

Ausblick und nächste Ziele

Die Initiierung der Querschnitts-AG „Qualität und Vernetzung“ durch BMG, ADT, DKG und DKH war ein wichtiger Schritt, um die Inhalte der Ziele 5, 6 und 8 des Handlungsfelds 2 des Nationalen Krebsplans miteinander zu verbinden, Defizite in der Zusammenarbeit zu identifizieren und konkrete Maßnahmen für die Weiterentwicklung v. a. an den Schnittstellen umzusetzen. Der Qualitätszyklus Onkologie, der die grundlegenden Voraussetzungen für eine qualitätsgesicherte Versorgung umfasst – Leitlinien, Qualitätsindikatoren, zertifizierte Zentren, Dokumentation im Rahmen der klinischen Krebsregistrierung – stellt den Rahmen für die Arbeit der Querschnitt-AG dar. Die Lösungen für die regelhafte Zusammenarbeit und die strukturierten Schnittstellen zwischen den einzelnen Zielen sind adressiert und müssen weiterentwickelt werden.

Im Vordergrund muss hier die Etablierung einer “Plattform” stehen, wie in der Stufe 2 des Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten vorgesehen, die, je nach Bedarf und Fragestellung, Ansprechpartner:innen vermittelt bzw. einen niederschwelligen Zugang zu Datenanalysen ermöglicht. Die weitere Aufgabe der Querschnitts-AG wird es sein, die Stärkung dieser Vernetzung zu fördern und Leitlinienentwickler:innen, Forschungseinrichtungen, Zentren und Behandelnde zusammenzubringen, um mit den versorgungsnahen Daten der Krebsregister Wissen zu generieren, das sowohl Forschung als auch die Versorgung unterstützt.

Dies ist eine in ihrer Komplexität nicht zu unterschätzende Aufgabe, die viele Sektoren umfasst. Um das Potenzial, das sich aus diesen Daten für die Versorgung ergeben kann, schneller und umfassender nutzen zu können, können die in anderen europäischen Ländern etablierten nationalen Krebsinstitute als Vorbild für einen ähnlichen Prozess in Deutschland dienen. Zukünftig wird man einen strukturierten Prozess etablieren, um die Leitlinienerstellung und Daten aus Registern und Zertifizierung dahingehend zusammenzubringen, dass konkrete Fragestellungen seitens der Leitliniengruppen generiert und geprüft werden, inwieweit versorgungsnahe Daten aus der Versorgung für diese spezifischen Fragestellungen entweder ergänzend oder allein beantwortbar sein können.

Mit der in der Stufe 2 des Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten vorgesehenen Plattform sollten zudem die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, dass auch interventionelle Studien mit versorgungsnahen Daten (z. B. registerbasierte RCTs [12]) ohne größere Hürden möglich werden. Damit könnten die onkologischen Registerdaten gezielt zur Beantwortung eines großen Teils der offenen Fragestellungen herangezogen werden [13] [14] [15].

Der im Nationalen Krebsplan entwickelte Qualitätszyklus wird so zu einem stetigen und gelebten Kreislauf, der Behandler, Krebsregister und Forscher miteinander verbindet.

Diese Verbindung und regelhafte Zusammenarbeit entsprechen auch dem Ziel der Nationalen Dekade gegen den Krebs und in besonderer Weise der Arbeitsgruppe 3 „Wissen generieren durch Vernetzung von Forschung und Versorgung“. So werden nicht zuletzt auch Nationaler Krebsplan und Nationale Dekade gegen Krebs miteinander verbunden und können die Konzepterstellung der Stufe 2 des Gesetzes zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten voranbringen.


#
#
#

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* geteilte Erstautorenschaft



Korrespondenzadresse

Prof. Monika Klinkhammer-Schalke
Universität Regensburg
Tumorzentrum Regensburg, Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung
Am Biopark 9
93040 Regensburg
Germany   

Publication History

Article published online:
03 November 2022

© 2022. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


Zoom Image
Abb. 1 Qualitätszyklus in der Onkologie.
Zoom Image
Abb. 2 a Postoperative Chemotherapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie beim Rektumkarzinom.; b Ergebnisdarstellung der bundesweiten Daten klinischer Krebsregister.