Covid-19-Erlösausgleich
Am 27.03.2020 wurde das Covid-19 Krankenhausentlastungsgesetz verabschiedet. Seit dem 03.07.2020 liegt ein Verordnung zur Anpassung der Ausgleichszahlungen vor. Wir stellen die Frage, wann gehört ein Krankenhaus zu den Gewinnern, wann zu den Verlierern des Erlösausgleichs.
Krankenhäuser, die ab dem 16.3.2020 planbare Behandlungen und Operationen abgesagt haben, erhielten für freistehende Betten einen Erlösausgleich von täglich 560 Euro. Dazu wird die Zahl aller freistehenden Betten täglich mit dem Mittelwert der belegten Betten des Vorjahres abgeglichen. Dies stellte einen Paradigmenwechsel dar. Ein Durchschnittswert für alle Häuser widerspricht dem DRG-System, dass davon ausgeht, dass der Schweregrad die Kosten maßgeblich beeinflusst.
Die Ausgleichszahlung soll den Verlust ersetzen – doch tut sie das auch?
Die Kliniken haben unterschiedliche Leistungsspektren und behandeln damit unterschiedliche Schweregrade (CMI). Die Krankenhäuser in der Grund- und Regelversorgung behandeln i.d.R. häufige und eher leichtere Erkrankungen, die einen CMI von unter 1 aufweisen, Schwerpunktversorger, meist Häuser ab ca. 350 Betten sollen auch spezialisierte Leistungen anbieten. Hier wird regelhaft ein CMI von >1 erreicht. Die Maximalversorgungshäuser und Universitätskliniken sind für die Spitzenmedizin verantwortlich.
Teilt man den bisherigen Erlös je Fall durch die gleiche Anzahl von Tagen, hat der Maximalversorger die höchsten und der Grund- und Regelversorger die geringsten Erlöse.
Beide bekommen in der Kompensation jedoch denselben Ausgleich, was die Mehrheit der kleinen Häuser mit den geringeren Schweregraden zu Gewinnern macht und die Mehrheit der Schwerpunkt- und Maximalversorger zu Verlierern der tagesabhängigen Erlöspauschale.
Abbildung 1 zeigt im Modell drei unterschiedliche Schweregrade mit jeweils drei unterschiedlichen Verweildauern. Hier wird deutlich, was der Paradigmenwechsel für welche Häuser bedeutet: Das Haus mit dem geringen Schweregrad erzielt bei derselben Verweildauer von 6,3 Tagen einen Erlösgewinn von 93 Euro, während das Haus mit dem hohen Schweregrad einen Erlösverlust von 258 Euro pro Fall verzeichnet.
Wieviel und welche Kliniken sind von dem Modell betroffen?
Statistiken zu den Größenklassen, Schweregraden und Verweildauern von Krankenhäusern zeigen, dass 77 % aller Häuser mit über 500 Betten, die 46 % aller Fälle behandeln, aber nur 17 % aller Kliniken ausmachen, im Vergleich zu ihrem normalen Leistungsgeschehen durch die Pauschale verlieren. Bei den Häusern bis 499 Betten, die 54 % aller Fälle behandeln, gewinnen 59 % im Vergleich zu ihrem üblichen Leistungsgeschehen. Die für Ende Juni vom BMG angekündigte Überprüfung der Auswirkungen sollte dies berücksichtigen.
Größenordnungen des Erlösverlustes trotz des Covid-19 Erlösausgleichs
Um die Größenordnung möglicher Erlösgewinne oder -verluste in den Häusern abzuschätzen, wird das Modell aus Abbildung 1 als Grundlage der Berechnungen herangezogen. Unterstellt man eine Dauer von 107 Tagen, in denen Betten freigehalten werden und einen Anteil zwischen 10 und 30 % an freien Betten, zeigt sich das folgende Ergebnis für das obige Modell in Tabelle 1.
In den Häusern, die wir in der Krise am meisten brauchen, da hier die größeren Intensivkapazitäten mit der entsprechenden Spezialisierung bereitstehen, werden in 107 Tagen 0,75 bis 6 Millionen Euro Verluste generiert, je nach Größe des Hauses und Anteil der freigehaltenen Betten. Die kleinen Häuser können jedoch mit einem Erlösgewinn von 166.000 bis 500.000 Euro rechnen. Die Maximalversorger sind die größten Erlösverlierer. Nicht umsonst wurden in einigen Bundesländern bereits zusätzliche Millionen-Programme für Universitätskliniken aufgelegt.
Selbstverständlich müssen auch die nicht anfallenden Kosten für den Medizinischen Bedarf und die „Hotelkomponente“ nicht behandelter Patienten berücksichtigt werden. Da die Kosten jedoch bei allen Häusern berücksichtigt werden müssen, bleibt, dass kleinere Häuser mit der Tagespauschale von 560 Euro bevorzugt werden, da nicht angefallene Kosten die Gewinne erhöhen.
Korrekturansatz
Das Modell zeigt in seinen Ausprägungen, dass der Paradigmenwechsel von der schweregradabhängigen Fallpauschale hin zu einer verweildauerabhängigen Tagespauschale zu großen Verwerfungen führt. Die Einbeziehung des CMI ist aus unserer unserer Sicht daher unerlässlich. Im obigen Modell bildet der Quotient aus CMI und VwD multipliziert mit dem Bundesbasisfallwert (BBFW) „die Realität“ der Erlöse ab.
Um die nicht anfallenden Kosten zu berücksichtigen, könnte alternativ unterjährig mit einem Abschlag und letztendlich, nach Vorliegen des Jahresabschlusses, mit den testierten Kosten für den medizinischen Bereich im Vergleich zum Vorjahr gearbeitet werden. Die Hotelkomponente könnte pauschal abgerechnet werden.
Verordnung zur Anpassung der Ausgleichszahlungen vom 03.07.2020
Nach dem Entwurf soll für vollstationäre Krankenhäuser zukünftig die Fallschwere mit in die Pauschale einfließen. Dies ist zu begrüßen wie im obigen Text dargelegt wurde. Dabei soll der Quotient aus CMI und VwD die Krankenhäuser in fünf Pauschalen eingruppieren (Tab. 2). Um eine Pauschale, die höher liegt als 560 Euro, abrechnen zu können, muss das jeweilige Krankenhaus in der KW 19 oder 20 mind. einmal intensivmedizinische Kapazitäten an das DIVI-Intensiv-Register gemeldet haben. Weitere Veränderungen sind:
- Für teilstationäre Leistungen wird zukünftig eine Tagespauschale von 280 Euro ausbezahlt.
- Für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser wird im voll- und teilstationären Bereich eine Tagespauschale von 280 Euro und im rein teilstationären Bereich von 190 Euro ausbezahlt.
Durch die Berücksichtigung des Schweregrades wurde ein wichtiger Schritt in Richtung einer gerechten Verteilung gegangen. Dieser wird jedoch konterkariert, indem fünf Pauschalen gebildet werden, die sehr unterschiedliche Spreizungen aufzeigen.
Größenordnung der Unterschiede innerhalb der Pauschalen
Bei einer Aufbereitung der Quotienten zeigt sich, was die Einteilung für die Kombination aus CMI und VwD bedeutet. In Tabelle 3 wird der Quotient mit dem Bundesbasisfallwert multipliziert und die entsprechende Pauschale abgezogen. Innerhalb der Pauschale von 360 Euro kann ein Haus ein positives Erlösergebnis von 102 Euro bis hin zu einem negativen Erlösdelta von 178 Euro erhalten. Innerhalb der Pauschale von 560 Euro, ein Erlösdelta zwischen -45 Euro und -217 Euro. Um die Verluste für die leerstehenden Betten auszugleichen, müssten die jeweiligen Erlösverluste den Kosten für den nicht anfallenden Medizinischen Bedarf und der Hotelkomponente entsprechen. Die grün umrandeten Bereiche umschließen 72 % aller Belegungstage (BT). Deutlich sind die VwD-Grenzen zu sehen, in denen ein positives Ergebnismöglich ist, sie liegen zwischen den oberen Grenzen der 360 Euro und 560 Euro-Pauschalen.
Verteilung der Erlösgewinne und -verluste
Unterstellt man, dass der Medizinische Bedarf im Grundsatz CMI- abhängig ist, so kann davon ausgegangen werden, dass bei einem niedrigeren CMI auch ein niedriger Kostensatz anzusetzen ist und vice versa. Unterschiedliche Leistungsspektren wie Endoprothetik und Onkologie bildet das Modell nicht ab. Bei einer angenommenen Kostenpauschale für den Medizinischen Bedarf von 100 Euro bei einem CMI von 1,0, die mit dem jeweiligen CMI multipliziert und einer Fixkostenpauschale für die Hotelkomponente von 30 Euro addiert wird, zeigen sich im Folgenden die Gewinne und Verluste mit den entsprechenden Häufigkeiten bei den entsprechenden CMI- Gruppierungen (Abb. 2).
In der Betrachtung des Modells wird die Inhomogenität deutlich. Legt man die Kostensätze von mind. 175 Euro ab einem CMI von 1,4 zugrunde, können die Schwerpunkt- und Maximalversorger durch den Veränderungsentwurf zu 78 % mit positiven Ergebnissen rechnen. Für die häufigsten Kombinationen aus CMI und VwD (72 % der BT) weisen 56 % der Fälle/Tag einen entsprechenden Verlust auf.
Ergebnis und Diskussion
Es ist erkennbar, dass es erneut Gewinner und Verlierer geben wird. Damit wird aktiv in den wirtschaftlichen Wettbewerb und somit in die Zukunftsfähigkeit der Häuser eingegriffen. Ein Ausgleichsmechanismus zwischen den Häusern wurde vom Gesetzgeber ausgeschlossen. Hinzu kommen die Erlösverluste durch die ambulanten Leistungen, Wahlleistungen und sonstige Erlöse. Die Kompensation durch die psychiatrischen/psychosomatischen Abteilungen sowie die teilstationären Bereiche der Häuser ist – durch die zu Recht abgesenkten Pauschalen – zukünftig nur noch eingeschränkt möglich.
Da die Benachteiligung bestimmter Häuser nicht grundlegend geändert wird, stellt sich die Frage, wie diese Häuser die aufgelaufenen Verluste in den nächsten Jahren kompensieren können. Bei den Universitätskliniken wird von millionenschweren Hilfen gesprochen. Für die kommunalen und freigemeinnützigen Häuser wird es vor allem vom Träger abhängen, ob dieser sich eine Unterstützung leisten kann. Bei den privaten Klinikketten wird sich zeigen, ob die Reserven reichen.
Auch ist die Frage nach einem Ende der Pandemie noch immer offen. Die Ausgleichszahlungen sind jedoch bis zum 30.09.2020 befristet. Ab wann können die Krankenhäuser in welchem Umfang ihre Patienten zurückgewinnen? Wann ist das Vertrauen so groß, wieder „freiwillig“ ins Krankenhaus zu gehen. Was heißt das für die kurz-, mittel- und langfristige Planungen und Budgetverhandlungen? Hier ist das Denken in Szenarien hilfreich, um das Ausmaß der Auswirkungen auf den Jahresabschluss 2020 und Abschätzungen für die Entwicklung der Planungen 2021 und 2022 bewerten zu können.
Es stellte sich vor allem in der ersten Phase die Frage, ob durch den pauschalen Erlösausgleich von 560 Euro Häuser subventioniert wurden, die bereits vor der Pandemie wirtschaftlich angeschlagen waren und die ggf. seit Jahren mit abnehmenden Fallzahlen zu kämpfen hatten und ob diese über den Mechanismus des Erlösausgleichs zu Lasten der Schwerpunkt- und Maximalversorger gestützt werden sollten. Gerade kleinere Häuser haben oft mit Mindestbesetzungen zu kämpfen und werden zum anderen u.a. durch die zunehmende Spezialisierung der Fachgebiete mit einem Fachkräftemangel im Ärztlichen- und im Pflegebereich konfrontiert, der direkten Einfluss auf die Behandlungsmöglichkeiten und die medizinisch- pflegerische Qualität hat. Durch diese Besserstellung der Grund- und Regelversorger wird die notwendige Diskussion verschoben ob die Aufrechterhaltung vieler kleiner Häuser in Gegenden mit einer hohen Krankenhausdichte – auch in ländlichen Räumen -, die nicht als Fach- oder Spezialklinik fungieren, langfristig sinnvoll erscheint. Die Subventionierung kleiner Häuser zementiert den Status Quo und hat damit das Potenzial die notwendigen Diskussionen in nächster Zeit zu verhindern. Dabei geht es in der Diskussion nicht um den Abbau von Bettenkapazitäten, sondern um eine Konzentration von Kapazitäten in einer Region, um die Ressourcen – insbesondere die Personalressourcen – zu Gunsten der Patienten und Mitarbeiter besser nutzen zu können sowie die Versorgungsstrukturen in den Landkreisen zu stabilisieren und zukunftsfähig auszurichten.
Autorin: Meike Thun, Gesellschafterin BAB Institut für betriebswirtschaftliche und arbeitsorientierte Beratung GmbH
erschienen in KU Special Medizincontrolling, September 2020