Pflegeberufe:"Sie hat gesagt, sie macht das nicht mehr mit"

Pflegeberufe: Sozialpädagogin Ute Dexl, selbst auch gelernte Krankenschwester, will verhindern, dass Pflegeschüler aufgeben.

Sozialpädagogin Ute Dexl, selbst auch gelernte Krankenschwester, will verhindern, dass Pflegeschüler aufgeben.

(Foto: Dietrich Mittler)
  • Die Abbrecherquote in der Pflegeausbildung liegt bei fast 30 Prozent. Fachkräfte fehlen an vielen Orten.
  • Allein 71 Pflegeschüler haben 2019 am Klinikum Nürnberg die Ausbildung abgebrochen.
  • Aus diesem Grund hat das Krankenhaus eine Ansprechpartnerin für die Sorgen der Schüler etabliert, die selbst vom Fach ist.

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Ute Dexl redet nicht lange um den heißen Brei herum: "Meine Stelle ist entstanden, weil man gemerkt hat, dass auch hier viele ihre Pflegeausbildung abbrechen", sagt die 53-Jährige. Bei den jungen Frauen und Männern, die sie an diesem Nachmittag von ihren Schultischen aus neugierig beäugen, soll das nach Möglichkeit nicht passieren. Zunächst aber geht es darum, Vertrauen zu gewinnen. Lässig nimmt die Sozialpädagogin auf dem Lehrerpult Platz, spielt ihren ersten Trumpf aus: "Ich bin selber Krankenschwester, habe auch hier gelernt. Ich war also in der gleichen Situation wie Sie jetzt", sagt sie. Dies scheint anzukommen. Aber das mag auch daran liegen, dass diese Klasse im zweiten Ausbildungsjahr als sehr motiviert bekannt ist. Erst eine Schülerin hat hier ihre Ausbildung abgebrochen.

Im landesweiten Vergleich wäre das nahezu rekordverdächtig. Doch das "Centrum für Pflegeberufe", in welchem das Klinikum Nürnberg den Nachwuchs schult, liegt bezüglich der Abbrecherquote durchaus im bayernweiten Schnitt. Bernd Siegler, der Sprecher des Klinikums, legt die Zahlen für den Zeitraum April 2016 bis April 2019 vor: Abbrecherquote in der Gesundheits- und Krankenpflege 28 Prozent, in der Pflegefachhilfe 30 Prozent. Nur in der Kinderkrankenpflege ist sie geringer: 16 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass im Klinikum Nürnberg allein im Jahr 2019 in 71 Fällen ein Ausbildungsabbruch stattfand. "Die meisten Azubis geben bei ihrer Kündigung keine Gründe an", sagt Siegler. Auf Nachfrage heiße es oft "gesundheitliche und private Gründe, Ortswechsel oder berufliche Umorientierung".

In Bayerns Kliniken hat ein zähes Ringen um Pflegekräfte begonnen. Das führt zu Events, die Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wären. Da werden Schokoladenherzen an die Pflegekräfte verteilt oder gar Fallschirm-Tandemsprünge verlost. So etwa in den zwei Krankenhäusern des Kreises Weilheim-Schongau, wo sich Geschäftsführer Thomas Lippmann mit seinen Mitarbeitern auch zu gemeinsamen Kino-Abenden trifft.

Wie das Deutsche Krankenhausinstitut jetzt bekannt gab, fehlt es in den allermeisten Krankenhäusern an Pflegepersonal. Vier von fünf Kliniken hätten Probleme, offene Stellen zu besetzen. Bundesweit seien in den Kliniken nahezu 17 000 Pflegestellen nicht besetzt. Und so etwas hat für die Häuser Folgen: Intensivbetten müssen zeitweise gesperrt werden, Fachbereiche melden sich von der Notfallversorgung ab und OP-Räume können mitunter tagelang nicht genutzt werden, weil es an Pflegekräften mangelt. Das bedeutet Einnahmeverluste, die sich kein Haus leisten kann.

"Wir haben in jedem bayerischen Krankenhaus unbesetzte Stellen in der Pflege", sagt Siegfried Hasenbein, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG). Folglich versuche jedes Haus "händeringend, Pflegefachkräfte zu finden". Hasenbein erinnert sich an eine Umfrage, die gut zwei Jahre zurückliegt - doch schon da war in Bayern von "ungefähr 5000 unbesetzten Planstellen" die Rede. Das hat nicht zuletzt auch Folgen für die Patienten. "Das bereits vorhandene Personal ist zusätzlich belastet", sagt Hasenbein, "zum Teil sogar überlastet."

Jessica Stadelmann, die Schulleiterin des Centrums für Pflegeberufe, weiß nur zu gut, wovon BKG-Geschäftsführer Hasenbein spricht. Sie selbst ist gelernte Krankenschwester - und so auch ihre Tochter. Die aber ist mittlerweile aus dem Beruf ausgestiegen. "Sie hat gesagt, sie macht das nicht mehr mit. Und ich kann sie da gut verstehen", sagt Stadelmann. Dennoch gelte es, den Blick nach vorn zu richten, den Berufsalltag zu optimieren - und eben auch die Pflegeausbildung ständig den Erfordernissen der Zeit anzupassen.

Denn eines ist klar: Im eigenen Haus ausgebildete Pflegekräfte sind für die Kliniken mittlerweile ein kostbares Gut, das es nach Möglichkeit zu erhalten gilt. Das ist leichter gesagt als getan. Das weiß auch Ute Dexl. Sie ist künftig im Klinikum Ansprechpartnerin für alle, die Sorgen oder Fragen zu ihrer Ausbildung haben - oder sogar kurz davor stehen, sie abzubrechen. Damit geht das Klinikum Nürnberg neue Wege. Heutige Schülerinnen und Schüler in der Pflege haben nur wenig mit jenen gemein, die einst mit Dexl die Ausbildung machten. Von den derzeit 474 jungen Frauen und Männern im Centrum für Pflegeberufe haben zwar immer noch die meisten einen deutschen Pass - je nach Klasse 80 bis 93 Prozent. Doch der Anteil jener mit Migrationshintergrund nimmt zu, was beim Lernen vermehrt auch Sprachprobleme mit sich bringt. Insgesamt stammen die Auszubildenden aus 44 Nationen.

Hinzu kommen oft familiäre Belastungen: Von den jungen Frauen wird oft erwartet, dass sie erst die jüngeren Geschwister oder ihre eigenen Kinder in den Kindergarten bringen, bevor sie in die Pflegeschule oder auf Station gehen - und das gibt dann Probleme. Die Älteren unter den Auszubildenden merken wiederum oft, dass ihr Ausbildungsgehalt weit unter jenem liegt, das sie zuvor in anderen Jobs verdient haben. Auch das, sagt Stadelmann, sei immer wieder ein Grund, die Pflegeausbildung abzubrechen.

Ute Dexl wirft vor der Klasse noch einmal ihr ganzes Können in die Waagschale. Man könne mit ihr über alles reden, Prüfungsängste, familiäre Krisen - alles, also auch über Konfliktsituationen mit Kolleginnen oder Kollegen auf Station. Das ist der Moment, auf den offenbar viele gewartet haben. Der Besuch des Ethikkurses etwa werde auf manchen Stationen gar nicht gern gesehen, heißt es plötzlich. Der Kurs dient dazu, schwierige Situationen aufzuarbeiten, etwa den Tod von Patienten. "Das ist Arbeitszeit, die fehlt", heißt es dann oft. Eine Schülerin, sie hat Fachabitur, wurde in einer Abteilung "blöd angeredet", wie sie sagt. "Ich wurde gefragt: Wieso wirst du Krankenschwester? Warum machst du nichts aus deinem Leben?" Über diese verbitterte Äußerung erfahrener Pflegekräfte muss Dexl an diesem Tag noch lange nachdenken. Das wird kein leichter Job für sie.

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