Berlin. Im kommunalen Klinikkonzern tobt nach weiteren Verdachtsfällen ein Kampf zwischen Geschäftsführung und dem Compliance-Team.

Die neuen Verdachtsfälle im kommunalen Klinikkonzern Vivantes, bei denen es unter anderem um mögliche Dienstplan-Manipulationen und damit verbundenen Betrug zu Lasten der Krankenkassen geht, haben intern zu einer harten Auseinandersetzung um den Umgang mit möglichen Mängeln geführt. Der Compliance-Beauftragte, der sich intern um die Einhaltung der Regeln guter Unternehmensführung kümmert, erhebt schwere Vorwürfe gegen Vivantes-Chef Johannes Danckert und Personal-Geschäftsführerin Dorothea Schmidt. Sie und andere Führungskräfte zeigten wenig Aktivitäten, um den Hinweisen interner Whistleblower nachzugehen und für Aufklärung zu sorgen. Die Geschäftsführer wiesen diese Kritik zurück.

Der gerade frisch ins Amt gewählte Aufsichtsratsvorsitzende Joachim Breuer hatte am 21. November nach dem Bekanntwerden der möglichen Dienstplanmanipulationen ein Gutachten zu möglichen Pflichtverstößen der Führungsebene in Auftrag gegeben.

Versäumnisse in der Compliance: Anwälte sehen Anfangsverdacht gegen Konzernchefs

Fünf Tage später lieferten Anwälte der Hamburger Kanzlei FHM ihre erste Einschätzung. Sie erkennen darin einen Anfangsverdacht gegen Danckert und Schmidt, weisen aber darauf hin, dass sie wegen der Kürze der Zeit keine vertiefenden Gespräche zur Aufklärung führen konnten. Eine rechtliche Grundlage für Abmahnungen oder gar Kündigungen gegen Danckert und Schmidt sehen die Juristen bislang nicht.

Wohl aber bestehe eben ein Anfangsverdacht, dass die beiden Chefs des Landesbetriebs für Missstände verantwortlich sein könnten, die im Compliance-System bei Vivantes bestünden. Das Gleiche gelte für den Umgang mit den Hinweisen auf mögliche Dienstplanmanipulationen. Whistleblower aus dem Krankenhaus Friedrichshain hatten berichtet, dass dort nachträglich Personen in Dienstpläne geschrieben worden seien, obwohl sie gar nicht gearbeitet hätten.

Dienstplanmanipulation könnte strafbar sein

So habe Vivantes den Eindruck erwecken können, die vorgegebenen Personaluntergrenzen eingehalten zu haben. So seien Strafzahlungen vermieden und das von den Krankenkassen gezahlte Pflegebudget vollständig kassiert worden, obwohl in Wirklichkeit weniger Pflegekräfte als vorgeschrieben für die Patienten da war. Aus Sicht der FHM-Anwälte stünde eine Pflichtverletzung im Raum, wenn die Geschäftsführer und eine weitere Führungskraft dem Verdacht gegebenenfalls sogar strafbarer Dienstplanmanipulationen nicht hinreichend nachgegangen sein sollten.

Genau das berichtet der Compliance-Beauftragte von Vivantes. Der Jurist hat seine Sicht der Dinge in zwei ausgiebigen Gesprächen dargelegt, über die Vermerke angefertigt wurden, die der Berliner Morgenpost vorliegen. Der eine stammt von Anwälten der Kanzlei Luther. Diese hatte im Auftrag des mittlerweile zurückgetretenen Aufsichtsratschefs Eckhard Nagel die unsauber vergebenen Bauaufträge der Vivantes-Tochter VSG untersucht. In Folge ermittelt nach Strafanzeigen von Vivantes die Staatsanwaltschaft. In diesem Bericht ist ebenfalls die Rede davon, dass die Untersuchungen der Anwälte von Seiten des Unternehmens behindert worden sein sollen.

Vivantes weist Vorwürfe zurück: Man nehme Compliance sehr ernst

Vivantes weist die Vorwürfe zurück. Man nehme Compliance sehr ernst, die Geschäftsführung habe das System seit ihrem Amtsantritt auch personell gestärkt, so ein Konzernsprecher. Jedem Verdachtsmoment gehe sie nach und ergreife in enger Abstimmung mit dem Aufsichtsrat alle erforderlichen Maßnahmen. Wenn Sachverhalte geklärt sind und konkrete Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen, würden diese auch offen kommuniziert.

Diese Aussagen kontrastieren fundamental mit den Berichten des Compliance-Beauftragten. Die Klagen des Juristen R. in einem dreieinhalbstündigen Gespräch mit den Luther-Anwälten füllen 18 DIN-A-4 Seiten. Einen weiteren Vermerk fertigte R. selbst an, nachdem er sich dem externen Vivantes-Ombudsmann offenbart hatte. Minutiös sind darin die Dauer von Telefonaten mit Danckert und Gesprächen mit anderen Führungskräften aus Sicht des Compliance-Mannes wiedergegegeben.

Compliance-Beauftragter sagt, er habe die Stelle zunächst ohne Ausschreibung bekommen

R. schildert unter anderem, wie er im Januar 2023 zunächst ohne Ausschreibung an seine neue Stelle gekommen war. Zunächst habe er ein Konzept zur Umstrukturierung der Compliance geschrieben. Im Januar habe Danckert ihm gesagt, dass er die Stelle der ausgeschiedenen Compliance-Beauftragten übernehmen solle. R. berichtet, er habe vor der Übernahme der Aufgabe zuerst über aus seiner Sicht nötigen Änderungen sprechen wollen.

Danckert hingegen habe ihm zunächst eine Vergütungszulage angeboten und gesagt, man werde sich „schon eingrooven“. Vivantes sagt offiziell, der Compliance-Beauftragte sei nach einer „internen Ausschreibung“ von der Geschäftsführung bestellt worden. R. wiederum sagt, er selber habe die Ausschreibung nachträglich formuliert und sich darauf beworben, habe allerdings seither nie wieder etwas zu dem Verfahren gehört.

Führungskräfte hätten sich über „rotzfreche Fragen“ der Compliance-Leute beschwert

Glaubt man den Schilderungen des Juristen, ist es in der Folge immer wieder zu Behinderungen und Einschüchterungsversuchen der Führungskräfte gegen Compliance-Leute gekommen. So habe Vivantes-Chef Danckert versucht zu verhindern, dass R. in einer Aufsichtsratssitzung direkt über die Hinweise auf Dienstplanmanipulation berichtet. Dass ein Teammitglied Fragen zu den möglichen Dienstplanmanipulationen stellte, sei als „Problem“ gesehen worden. Die Fragen seien „rotzfrech“ gewesen, die Frau sei „dumm“, R. solle sie „sofort rausschmeißen“, beschreibt R. die Aussagen von Führungskräften. Personalgeschäftsführerin Schmidt habe ihm in einem persönlichen Gespräch gesagt, es könne nicht sein, dass die Compliance-Abteilung „überall Unruhe stifte“.

Als Entmachtung empfand es R., dass die Geschäftsführung in der Folge den Ressortleiter Corporate Governance angewiesen habe, sie einmal im Monat über alle Compliance-Fälle zu informieren. Insgesamt, so R.s Fazit, sei im aktuellen Zustand des Unternehmens eine ordnungsgemäße Compliance nicht möglich. Mit einer der Dienstplanmanipulation verdächtigen Mitarbeiterin sei „rasch eine Aufhebungsvereinbarung“ getroffen worden, als die Angelegenheit „strafrechtliche Dimensionen“ erreicht habe. Eine externe Kanzlei einzuschalten, sei ihm verwehrt worden. Stattdessen hätten ihm Führungskräfte gesagt, er solle „anders ermitteln“.

Anwälte schlagen vor, die Kritiker weiter zu ihren Vorwürfen zu befragen

Die Anwälte von FHM, die die Berichte des Mannes aus rechtlicher Sicht analysiert haben, schlagen vor, R. und eine Vivantes-Führungskraft, die vergleichbare Vorwürfe gegen Danckert und Schmidt erhoben hat, zu näheren Details der von ihnen erhobenen Vorwürfe zu befragen. Von Vivantes hieß es offiziell, der Compliance-Beauftragte berichte direkt an Geschäftsführung und Aufsichtsrat und sei in seiner Arbeit unabhängig.