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Die fünf größten Kritikpunkte am Dresdner Klinik-Konzept

Die Krankenhäuser sollen raus aus den Schulden. Doch Dresdens Parteien stören sich an Teilen des Rettungsplanes und kündigen eigene Überlegungen an.

Von Sandro Pohl-Rahrisch & Andreas Weller
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In den kommenden Monaten entscheidet sich die Zukunft der städtischen Krankenhäuser Dresdens.
In den kommenden Monaten entscheidet sich die Zukunft der städtischen Krankenhäuser Dresdens. © Steffen Füssel (Archiv)

Dresden. Ein großer Medizin-Campus in der Friedrichstadt, ein ambulantes Gesundheitsquartier mit Altenpflege in Trachau und ein Zentrum für psychische Gesundheit am Weißen Hirsch. So stellen sich Klinikleitung, Stadtverwaltung und Unternehmensberater den Weg der städtischen Krankenhäuser aus den Millionen-Schulden und in die Zukunft vor. Dort, wo die Rettungsstrategie beschlossen werden muss, im Stadtrat, sind allerdings nur wenige so richtig zufrieden damit, wie die Fraktionen nun gegenüber der SZ erklären. Das sind ihre größten Kritikpunkte.

Kritik 1: Das Neustädter Krankenhaus wird bedeutungslos

Im Krankenhaus an der Industriestraße sollen alle Stationen geschlossen werden und nach Friedrichstadt umziehen. Die Pläne sehen nur noch eine Notaufnahme mit zehn Betten vor. Darüber hinaus sind ein ambulantes OP-Zentrum, Arztpraxen, Kurzzeitpflege und weitere Angebote für Senioren geplant. Die Linke spricht sich klar dafür aus, dass Trachau als ein relevanter Standort erhalten bleibt. Grüne-Stadtrat Wolfgang Deppe, der am Stadtrand von Dresden selbst Chefarzt einer Klinik ist, schlägt vor, in Trachau weiterhin eine Grund- und Regelversorgung im internistischen und chirurgischen Bereich zu unterhalten. Zumindest müsse auch dieses Szenario durchgerechnet werden, so Deppe.

Die CDU sieht die Trachau-Pläne ebenfalls kritisch. Der Verwaltungsvorschlag sei zwar ein erster Aufschlag. Doch die Umsetzung im Hinblick auf Finanzierbarkeit und Zukunft, insbesondere des Standortes Trachau, werfe viele Fragen auf, sagt Daniela Walter, die gesundheitspolitische Sprecherin der Christdemokraten. Sie schätze, dass der Standort nicht komplett aufgegeben werden soll, lässt aber auch durchblicken, dass die Pläne  nicht reichen könnten. Die CDU werde sich für eine weitere sinnvolle medizinische Nutzung am Standort Trachau einsetzen.

Ähnlich sieht es die FDP. "Am Standort Neustadt ist neben dem ambulanten Zentrum zu prüfen, inwieweit der Betrieb eines Fachklinikzentrums sinnvoll ist", sagt Stadtrat Christoph Blödner. Grundsätzlich stimme er dem Campus-Konzept aber zu. "Sowohl im Sinne der bestmöglichen medizinischen Versorgung als auch der finanziellen Stabilität sind die vorgeschlagenen Änderungen unerlässlich", sagt Christoph Blödner.

Das heutige Krankenhaus Dresden-Neustadt in Trachau wurde in den 1920er-Jahren als Pflegeheim eröffnet. Typisch sind die Pavillon-Gebäude, die über einen Laubengang miteinander verbunden sind. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges wird das denkmalgeschützte E
Das heutige Krankenhaus Dresden-Neustadt in Trachau wurde in den 1920er-Jahren als Pflegeheim eröffnet. Typisch sind die Pavillon-Gebäude, die über einen Laubengang miteinander verbunden sind. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges wird das denkmalgeschützte E © René Meinig

Für vielversprechend hält auch SPD-Stadträtin Viola Vogel den Rettungsplan, so wie er ist. Der Erhalt des Standorts Trachau mit der Notfallmedizin und möglicherweise der Geburtshilfe verdiene Unterstützung. Die Sozialdemokraten begrüßten das Campus-Konzept mit der Zentralisierung der stationären Versorgung in Friedrichstadt und einer Ambulanz in Trachau. "Medizin wird sich in Zukunft zentralisieren, spezialisieren und ambulantisieren müssen, wenn sie zukunftsfähig sein soll", so Vogel. "Das gilt auch für das städtische Klinikum." Derzeit würden viel zu viele Krankenhausleistungen, die auch ambulant erbracht werden könnten, stationär im Klinikum erbracht. Das alles bei gleichzeitig insgesamt niedriger Bettenauslastung. "Das ist auf Dauer nicht wirtschaftlich." Dass Bühlau ausgebaut werden soll, schätzt die SPD. "Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden psychischen Erkrankungen der Bevölkerung ist es gut zu hören, dass dem Thema psychische Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird", sagt Viola Vogel.

Die Konzentration von Kernkompetenzen sei begrüßenswert, sagt AfD-Stadtrat Bernd Lommel. Doch das Konzept werfe noch Fragen auf mit der tendenziellen Unzufriedenheit der Mitarbeiter in Trachau. Außerdem müsse geklärt werden, wie hoch "der Verlust von Marktanteilen infolge der Konzentration" an die Konkurrenz wäre. Die AfD lobt, dass sich das Klinikum mit seinen Angeboten an die alternde Gesellschaft anpassen soll. Auch der Ausbau der psychiatrischen Klinik am Weißen Hirsch findet Anklang.

Kritik 2: Das Klinikum wird Betten verlieren

In der Summe möchte das Klinikum 130 Betten abbauen. Diese benötige man schon heute nicht mehr, sie könnten mangels Patienten nicht belegt werden, so Direktor Marcus Polle. Mit dem Bettenabbau würde man außerdem den Wünschen der Politik nachkommen, das Gesundheitssystem zu verschlanken. Das wiederum würde mit Fördermitteln belohnt. 

Die Linke sieht dies äußerst kritisch: Bettenabbau sei immer auch ein Personalabbau im Pflegebereich, selbst wenn es sich dabei nicht um Kündigungen, sondern Stellen handle, die nicht nachbesetzt werden. Der Abbau personeller Kapazitäten im ärztlichen und pflegerischen Bereich komme für die Linke aber nicht infrage, hat der Stadtparteitag am Wochenende beschlossen. Grundsätzlich sei man offen für Veränderungen, aber nur, wenn die medizinische Versorgung der Dresdner nicht gefährdet wird und das Klinikum ein Eigenbetrieb bleibt.

"Uns ist allen klar, dass wir nicht am Status quo festhalten können und wollen", sagt dagegen Grüne-Stadtrat Wolfgang Deppe. Es werde gravierende Veränderungen geben. Es sei richtig, dass gewisse Fördermittel an den Abbau von Betten und Doppelstrukturen gebunden sind. "Ich denke deshalb, dass wir an einem gewissen Bettenabbau nicht vorbeikommen." Die Frage sei, ob diese Betten komplett in Trachau abgebaut werden müssten. Es gebe sicherlich auch Möglichkeiten zwischen dem Krankenhaus in seiner aktuellen Form und der Schließung aller Stationen, um Fördermittel zu erhalten, meint Deppe.

Kritik 3: Das Alles oder nichts-Szenario

Zwar sind den Stadträten verschiedene Zukunftswege skizziert worden. Doch die  Verantwortlichen machen deutlich, dass das Paket aus Campus, Gesundheitsquartier und Psychischem Zentrum aus ihrer Sicht alternativlos ist. Nur durch die Zusammenführung doppelt vorhandener Abteilungen wie der Allgemeinchirurgie und den Abbau von Betten gebe es Fördermittel. Nur so komme das Klinikum aus der Verlustzone. 

Die vier Szenarien im Überblick:

  • Szenario 1: Alles bleibt, wie es ist.
  • Szenario 2: Standorte Trachau und Bühlau ziehen in einen Neubau im Dresdner Norden.
  • Szenario 3: Friedrichstadt wird zum großen Medizin-Campus, in Trachau verbleibt ambulante Versorgung mit Notaufnahme, Bühlau wird zum Zentrum für psychische Gesundheit.
  • Szenario 4: Schließung aller bisherigen Standorte und Neubau im Dresdner Norden.

Grüne-Stadtrat Wolfgang Deppe spricht von einem Alles oder nichts-Szenario. "Es wird behauptet, dass sich bis 2032 ein Verlust von 188 Millionen Euro anhäufen wird, im Extremfall 375 Millionen Euro, sollte man sich nicht für das Konzept entscheiden", so Deppe. Doch bis heute hätten die Unternehmensberater von Ernst & Young nicht offengelegt, wie sie zu diesem Ergebnis kommen. "Das können wir so nicht akzeptieren." 

Sowohl Deppe als auch Linke-Stadtrat Jens Matthis sprechen sich für ein zweites Gutachten aus, um die komplette Kalkulation zu überprüfen. Sollte das Zusatz-Gutachten aus der Stadtkasse bezahlt werden, bräuchte es dafür erst einmal eine Mehrheit im Gesundheitsausschuss. Außerdem kostet es Zeit. "Dass der Stadtrat noch dieses Jahr zu einer Entscheidung kommt, kann ich mir nicht vorstellen", so Deppe. Aber die Vorstellung von Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) , der Gesundheitsausschuss nicke die Strategie schon irgendwie ab, funktioniere so nicht.

Kritik 4: Mitarbeiter müssen zusehen

Es war eine breite Mahnung der Experten, die vor zwei Wochen zum Zukunftskonzept angehört wurden: Nehmt die Mitarbeiter mit, beteiligt sie an dem Zukunftsprozess. Das ist bisher nur indirekt passiert. Denn begleitet wurde die Ausarbeitung der Rettungsstrategie unter anderem von Personalvertretern und Chefärzten - ein vergleichsweise kleines Gremium, das für die mehr als 3.000 Mitarbeiter des Städtischen Klinikums sprechen sollte. 

Dass betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden, sei erst einmal eine wichtige Zusage, so SPD-Stadträtin Viola Vogel. "Es ist nun Aufgabe der leitenden Personen, die künftige Kommunikation mit den Beschäftigten weiter zu suchen und sie den Prozess auf Augenhöhe mitbestimmen zu lassen."

Die Ängste, mit denen Standortdiskussionen verbunden, seien der CDU-Fraktion durchaus bewusst. "Von daher ist es aus unserer Sicht unabdingbar, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig und umfassend in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen", sagt Daniela Walter. "Transparenz und die Möglichkeit echter Beteiligung und Mitgestaltung fördern nicht nur die Wertschätzung füreinander, sondern beinhalten darüber hinaus auch die Chance, die geplanten Projekte innerhalb der Gesamtstrategie weiter zu qualifizieren."

Die Freien Wähler sehen es genauso. "Nun müssen Mitarbeiter von diesem Konzept überzeugt und vor allem mitgenommen werden, um das städtische Klinikum fit für die Zukunft zu machen", sagt Stadtrat Jens Genschmar. 

Kritik 5: Stadt verlässt sich zu sehr auf Fördermittel

Rund 425 Millionen Euro will die Stadt ausgeben, hauptsächlich für Neu- und Umbauten. Sie hofft auf reichlich Fördermittel. Genau daran stören sich mehrere Fraktionen, darunter AfD, Linke und FDP. Denn eine definitive Zusage gibt es bislang nicht vom Freistaat.

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