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Neue Fristen für Budgetverhandlungen? Tsunamiwarnung aus der Praxis!

Seit 11. August 2022 liegt der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung vor (Krankenhauspflegeentlastungsgesetz – KHPflEG). Neben der Einführung eines Pflegepersolnalbemessungs-Interimsinstruments auf Grundlage der PPR 2.0 enthält der Entwurf u.a. neue Fristen für die Budgetverhandlungen in der Somatik und Psychiatrie, die - sollten sie Gesetz werden - für zahlreiche Auseinandersetzungen sorgen werden und auf die sich die Krankenhäuser schon jetzt vorbereiten sollten.

Fristen für die Vorlage von Unterlagen

Zunächst sieht der Entwurf vor, dass das Krankenhaus die Forderungs-AEB und den Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung der Mittel für Tariferhöhungen bis 30. November des Jahres vorlegen muss, welches dem Vereinbarungszeitraum vorangeht (§ 11 Abs. 4 Satz 1 KHEntgG/BPflV n.F.).
Ferner sollen die Sozialleistungsträger innerhalb von sechs (6) Wochen nach Vorlage der Unterlagen gemeinsam einmalig die Vorlage von zusätzlichen Unterlagen und die Erteilung von Auskünften verlangen können (§ 11 Abs. 4 Satz 3 KHEntgG/BPflV n.F.). Es bleibt allerdings dabei, dass bei dem Verlangen der zu erwartende Nutzen den verursachten Aufwand deutlich übersteigen muss (bislang § 11 Abs. 4 Satz 4 KHEntgG/BPflV, zukünftig § 11 Abs. 4 Satz 5 KHEntgG/BPflV n.F.).

Das Krankenhaus hat innerhalb von sech (6) Wochen nach Eingang des Verlangens die zusätzlichen Unterlagen vorzulegen und die Auskünfte zu erteilen (§ 11 Abs. 4 Satz 4 KHEntgG/BPflV n.F.). „Mit der Vorgabe von Fristen wird sichergestellt, dass im weiteren Verfahren keine weiteren Unterlagen oder Auskünfte mehr angefordert oder vorgelegt bzw. erteilt werden dürfen" (so Seite 61 des Referentenentwurfs).

Einprozentiger Rechnungsabschlag als Sanktion

Bei Nichterfüllung der Vorlagepflichten sieht der Referentenentwurf einen einprozentigen Rechnungsabschlag für jeden voll- oder teilstationären Fall vor. Dieser Abschlag muss von den Sozialleistungsträgern für die Zeit vom 1. April des Vereinbarungszeitraums bis einen Monat nach der Vereinbarung oder Schiedsstellenfestsetzung vereinbart werden (§ 11 Abs. 4 Satz 6 KHEntgG/BPflV n.F.). Der Abschlag muss ferner innerhalb von zwei (2) Wochen von der Genehmigungsbehörde genehmigt werden, wenn die Vereinbarung dem geltenden Recht entspricht (§ 11 Abs. 4 Satz 7 - 9 KHEntgG/BPflV n.F.).

Konkretisierung durch die Selbstverwaltung

Den Vertragsparteien auf Bundesebene wird aufgegeben, für die neuen Fristen zur Unterlagenvorlage und Auskunftserteilung nach § 11 Abs. 4 KHEntgG/BPflV das Nähere zur Dokumentation des Eingangs von Unterlagen und Auskünften zu vereinbaren (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 KHEntgG n.F./§ 9 Abs. 1 Nr. 6 BPflV n.F.). Dies ist laut Begründung erforderlich, um nachhalten zu können, inwieweit die Krankenhausträger ihrer Pflicht zur fristgerechten Unterlagenübermittlung und Auskunftserteilung nachkommen (siehe Seite 59). Auch für die konkrete Umsetzung des Rechnungsabschlags haben die Vertragsparteien auf Bundesebene das Nähere festzulegen. Die Vertragsparteien auf Bundesebene haben für die erstmalige Vereinbarung der Einzelheiten für die neuen Vereinbarungstatbe-stände nach Inkrafttreten des Gesetzes ganze vier Wochen Zeit!

Schiedsstellenfestsetzung von Amts wegen

Kommt eine Entgeltvereinbarung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG/BPflV nicht bis zum 30. April des Jahres, für das die Vereinbarung gelten soll, zustan-de, soll zukünftig die Schiedsstelle den Inhalt der Vereinbarung abweichend von § 13 ohne Antrag einer Vertragspartei innerhalb von sechs Wochen festsetzen (§ 11 Abs. 3 Satz 4 KHEntgG/BPflV n.F.).

Präklusion

Die Schiedsstelle hat bei ihrer Entscheidung nur die Unterlagen und Auskünfte zu berücksichtigen, die innerhalb der in Absatz 4 Satz 1 und 4 genannten Fristen vorgelegt und erteilt worden sind (§ 11 Abs. 3 Satz 5 KHEntgG/BPflV n.F.). „Somit können innerhalb des Schiedsstellenverfahrens keine weiteren Unterlagen oder Auskünfte geltend gemacht werden" (Seite 60 des Referentenentwurfs).

Sonderregelungen für Vereinbarungszeiträume bis 2023

Für die Vereinbarungszeiträume bis einschließlich des Vereinbarungszeitraums 2023, für die bis zum Inkraft-treten des Gesetzes noch keine Vereinbarung nach Absatz 1 Satz 1geschlossen wurde, sind vom Krankenhausträger die Unterlagen nach Absatz 4 Satz 1 sechs Wochen nach Inkrafttreten vorzulegen (= Tag nach der Veröffentlichung im BGBl.). Für die Vorlage der Unterlagen und für die Erteilung von Auskünften gilt Absatz 4 Satz 2 bis 6 entsprechend mit der Maßgabe, dass der Abschlag 22 Wochen nach dem Inkrafttreten an zu vereinbaren ist.

Sind die Vereinbarungen für die noch ausstehenden Vereinbarungszeiträume nicht bis fünf Monate nach dem 42. Tag nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen, legt die Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 KHG jeweils den Inhalt der Vereinbarung ab-weichend von § 13 ohne Antrag einer Vertragspartei innerhalb von zwölf Wochen fest; Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend (§ 4 Abs. 6 KHEntgG/BPflV n.F.). Hiermit soll sichergestellt werden, dass nur die Un-terlagen und Auskünfte berücksichtigt werden dürfen, die im bisherigen Verfahren nach Absatz 4 vorgelegt worden sind (siehe Seite 61 des Refe-rentenentwurfs).

Bewertung

Ziel des Gesetzentwurfs ist es laut Begründung (siehe Seite 30) den Verhandlungsstau der letzten Jahre in somatischen Krankenhäusern sowie psychiatri-schen und psychosomatischen Einrichtungen aufzulösen und zeitnahe Abschlüsse von Budgetverhandlungen zu gewährleisten. Allerdings darf stark bezwei-felt werden, ob dies mit den beabsichtigten Regelun-gen gelingt:

  • Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Verhandlungsstau der letzten Jahre primär auf die sich ständig ändernden gesetzlichen Vorgaben zurückzuführen ist, die die Verhandlungen für beide Seiten massiv erschweren. Zu verweisen ist hier insbesondere auf die Entwicklung der Vor-schriften zum Pflegebudget. In der Vergangenheit standen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Budgetverhandlung oftmals erst zum Ende des Vorjahreszeitraums fest und wurden auch danach noch verändert.
  • Die geplanten Regelungen zur Vorlage von Unterlagen benachteiligen einseitig das Krankenhaus. So werden die Sozialleistungsträger umfangreiche und allgemein gehaltene Fragelisten übermitteln. Wird hierauf nicht fristgerecht oder ausreichend geantwortet, wäre das Krankenhaus für ein Schiedsstellenverfahren präkludiert.
  • Viele Daten liegen zum Zeitpunkt der Abgabepflicht aber noch gar nicht vor, zum Beispiel das Gesamtjahres-IST des Vorjahreszeitraums. Außerdem sind nach der Rechtsprechung auch unterjährige IST-Daten des Vereinbarungszeitraums zu berücksichtigen. Es wäre noch zu prüfen, ob diese Präklusion mit der Garantie effekti-ven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbaren ist.
  • Der Referentenentwurf geht davon aus, dass die Schiedsstelle mit Inkrafttreten der Regelungen häufiger tätig werden muss, ohne dies aber genauer zu quantifizieren (siehe Seite 36 f.). Tatsächlich werden die Schiedsstellen mit der Vielzahl der zu erwartenden Verfahren hoffnungslos überfordert sein. So hat eine Vielzahl von Krankenhäusern noch keine Vereinbarung für das Jahr 2020 abschließen können. Zum Teil fehlen sogar noch Vereinbarungen aus den Vor-Corona-Jahren. Schon heute ziehen sich die bislang wenigen Schiedsstellenverfahren aus vielen Gründen in die Länge, u.a. wegen so banalen Themen wie Raumfindung und Terminabstimmung. Die Vorsitzenden der Schiedsstellen verfügen über keinen eigenen Apparat von Mitarbeitern, um den zu erwartenden Tsunami an Verfahren nur ansatzweise zu bewältigen. Ein Verfahrensstau wird die Folge sein, denn die Einhaltung der 6- bzw. 12-Wochenfrist ist nach der Rechtsprechung nur eine Ordnungsvorschrift, an die sich schon heute kaum gehalten wird.
  • Der neue Rechnungsabschlag wird eine Vielzahl strittiger Genehmigungsverfahren mit sich bringen, da die Frage, ob der zu erwartende Nutzen der Unterlagen den Aufwand deutlich übersteigt, unterschiedlich beurteilt werden wird. Es ist auch ausgeschlossen, dass die Genehmigungsbehörde diese Prüfung in zwei Wochen abschließen kann, muss sie doch das Krankenhaus nach § 28 VwVfG vor ihrer Entscheidung anhören. Auch insoweit sind weitere Verzögerungen und zusätzliche Klageverfahren gegen die Entscheidungen der Genehmigungsbehörde zu erwarten.

Statt die Vertragsparteien, Schiedsstellen und Behörden mit weiterer Bürokratie zu lähmen, wäre es für eine zügigere Verhandlungspraxis besser, wenn der Gesetzgeber mit ausreichend zeitlichem Vorlauf verlässliche und weniger bürokratische Rahmenbedingungen setzen würde. Man kann im Interesse aller Beteiligten nur hoffen, dass der Referentenentwurf so nicht umgesetzt wird.

Ungeachtet dessen sollten sich die Krankenhäuser auf den „Worst Case" vorbereiten und sich zügig an die „Aufholjagd" machen, indem noch offene Vereinbarungen der Vorjahre möglichst schnell abgeschlossen werden oder notfalls die Schiedsstelle angerufen wird. Für Schiedsstellenverfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits anhängig sind, gilt das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, d.h. die oben beschriebene Präklusionswirkung scheidet aus. Wie so oft gilt auch hier: „First come first serve" oder „Wer zu spät kommt, den bestraft der Gesetzgeber".