Vohenstrauß
02.01.2020 - 10:32 Uhr

Unmut über Gesundheitspolitik

Behandlungen im Krankenhaus müssen finanzielle Gewinne verzeichnen, anstatt die Patienten optimal, individuell und bedarfsgerecht medizinisch zu versorgen. Ärzte werden zum Spielball der Politik.

Bundestagsabgeordneter Uli Grötsch und Landtagsabgeordnete Annette Karl (Mitte) kamen mit einer großen Delegation von SPD-Politikern aus der Region beim BRK an Silvester vorbei.

Den Unmut und die Unzufriedenheit mit der derzeitigen Gesundheitspolitik bekamen auch die SPD-Politiker bei ihrem Silvesterbesuch in der Rotkreuzbereitschaft zu spüren. Mit einer unheimlich starken Delegation aus den Ortsvereinen mit allen die Rang und Namen haben, schlugen in diesem Jahr Bundestagsabgeordneter Uli Grötsch und Landtagsabgeordnete Annette Karl am Silvesternachmittag im Rotkreuzhaus auf. BRK-Kreisgeschäftsführer Sandro Galitzdörfer begrüßte die hochrangigen Politiker im Kreise der BRK-Vertreter.

Chirurg Dr. Heinrich Gref hielt nicht zurück und teilte seine Sorge über die Weiterentwicklung in der Gesundheitspolitik mit, nachdem Bereitschaftsleiter Stephan Kraus und Wachleiter Martin Putzer eingehend über das hier geleistete Ehrenamt Einblick gaben. Der 75-Jährige wolle keineswegs bis 100 Jahre seinen Mann als Arzt und Chirurg stehen, allerdings finde sich niemand für die Nachfolgeregelung. „Eine Misere die sich seit mindestens 20 Jahren im Gesundheitswesen und der Pflege abzeichnet und das Problem wurde von denen, die dafür zuständig sind verschlafen.“

Der Fehler liege nicht in Weiden oder Vohenstrauß sondern ganz weit oben in der Bundespolitik. Seit mehr als zehn Jahren mahne er Missstände im Krankenhaus bei den Politikerbesuchen an. Er habe dabei immer freundliches Zuhören erfahren, jedoch geändert habe sich null. Das werde in Zukunft wahrscheinlich genauso sein. „Wir werden so von Bürokratie überwältigt und können uns den Patienten eigentlich gar nicht mehr leisten“, zeichnete der Chirurg ein drastisches Bild.

„Was wir an Statistiken, ausfüllen, dokumentieren von Formularen und Berichten bis zum geht nicht mehr machen, ist politisch gewünscht. Es bleibt aber nicht beständig sondern alle paar Tage ist da oben offenbar ein Müßiggänger, um wieder irgendetwas Neues zu erfinden und uns wieder mit neuem Papier zuzudecken“, klagte der Arzt. Als Beispiel nannte er den Humbug mit der elektronischen Gesundheitskarte. Seit Jahren lehnte der Ärztetag die Gesundheitskarte ab. „Uns wurde zwangsweise auferlegt, ab 1. Juli 2017 die neue elektronische Karte zu benutzen. Die erste Software gab es jedoch erst im Sommer 2019. Die Geräte mussten wir für teures Geld anschaffen, das Personal schulen. Völlig müßig. So ein Mist wird da oben gemacht. Unsere Sicherheitsbedenken wurden einfach vom Tisch gefegt.“ Der Arzt war der Meinung, wenn schon das Telefon der Kanzlerin Angela Merkel gehackt werden kann, dann wird vermutlich so eine Karte auch nichts taugen.

„Wer entscheidet denn so was da oben?“, wollte Gref von Grötsch wissen, der ihm daraufhin das Gesundheitsministerium nannte. „Es müssen doch Leute auch abnicken, was die Idioten da machen“, ließ der Chirurg nicht locker. „Verstehen kann das unten bei den Leuten, die die Arbeit machen, sowieso keiner mehr. Das ist das schlimmste an unserer Politik, dass alles so abgehoben ist“, bemängelte Gref. Das Zweite sei, dass die Krankenhäuser finanziell so ausgetrocknet wurden, dass laufend zu wenig Personal zur Verfügung stehe. Die Devise lautet: „Am besten operieren, den ganzen Tag und nonstop hintereinander, sonst kommt das Haus ins Defizit.“ Dr. Gref weiter: „Wer so arbeitet macht Fehler und diese Fehler sind dann der Ärztepfusch, den wir ausbaden müssen und nicht die, die diesen Mist machen.“ Er habe wenig Hoffnung nach seinen 40 Jahren als Arzt, dass sich etwas ändere, „wünschenswert wäre es jedoch für uns alle“.

Dem BRK dankte der Arzt für die gute und freundschaftliche Zusammenarbeit sowohl was das Krankenhaus als auch seine Praxis betreffe. „Insbesondere für die Rücksichtnahme, dass wir nicht alle Notfälle mehr behandeln können. Wir sind wahrscheinlich die letzten Chirurgen in Bayern die 24-Stunden-Schichten machen, was für jeden ein Drittel des ganzen Jahres ausmacht.“ Wenn man schwer ausgelastet sei in der Praxis und zum Teil im Krankenhaus, dann könne man nicht noch rund um die Uhr hindurch Notdienst leisten. „Alle machen sich Gedanken über die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in unserem Raum. Meiner Ansicht nach zurecht.“ Wie sich das weitergestalten werde, wisse er auch nicht, insbesondere die Notfallversorgung, sagte Gref.

Der Bundestagsabgeordnete wollte sich zu den angesprochenen Themen nicht groß äußern und auch nicht welche Auswirkungen die Ökonomisierung im Gesundheitswesen Negatives an Auswirkungen für das ganze Land und die Menschen bereithält, da dafür die Zeit bei diesem Besuch nicht ausreiche. Er sei völlig bei Gref , dass vor allem im Pflegebereich wie auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens über Jahrzehnte vieles verschlafen wurde. Mit den drei Pflegestärkungsgesetzen oder dem Angehörigenstärkungsgesetz, das vor kurzem beschlossen wurde, sei die richtige Richtung eingeschlagen worden. Wenn gleich er nicht verhehlte, dass dies allein nicht ausreichen werde. „Kernübel ist die Ökonomisierung im Gesundheitswesen, denn Gesundheitsversorgung ist ein öffentlicher Auftrag und nicht ein Geschäftsfeld in dem sich Konzerne tummeln können“, machte der Bundespolitiker klar. Das betreffe das Gesundheitswesen genauso wie Kommunikation, Transport und Bildung. Allerdings könne man heute nicht debattieren sondern müsse es beim Dank für das BRK belassen, der ihm immer ein Anliegen ist.

Der Fachkräftemangel ist in den Pflegehäusern nicht mehr wegzudiskutieren, schlug auch der Kreisgeschäftsführer Sandro Galitzdörfer in dieselbe Kerbe. Seit Oktober habe er freie Stellen in den BRK-Pflegehäusern ausgeschrieben, auf die sich nur zwei Bewerber meldeten. Davon eine Bewerberin aus eigenem Haus, die sich qualifizieren wolle. In Eschenbach stehe ein BRK-Neubau an, der ähnlich wie in Neustadt/WN geplant wird, gab Galitzdörfer weiter preis. Dort soll auch eine Tagespflege mit integriert werden, die für Senioren heutzutage immer wichtiger werde. Sein Wunsch an die Politik, doch flächendeckend ein soziales Jahr für junge Leute einzuführen, stieß bei den SPD-Politikern auf offene Ohren. Er blieb ebenfalls über diese Schiene beim BRK hängen, machte Galitzdörfer deutlich.

Auch Landtagsabgeordnete Annette Karl schloss sich dem Dank an alle Ehrenamtlichen und Rettungskräfte beim BRK an. „Sie spannen ein ganz dichtes Netz der Hilfe und Unterstützung für die Menschen hier in der Region. Das ist ein großes und wichtiges Stück Lebensqualität, was sie mit ihrem Einsatz sicherstellen.“

Die Aufgabe der Politik sei hier unterstützend tätig zu werden und da müsse sie selbstkritisch gestehen: „Da haben wir in den letzten 20 Jahren vielleicht nicht immer das geleistet, was sie erwarten können und die Ökonomisierung des Gesundheitssystems war jetzt im Nachgang gesehen, der größte Fehler den man machen konnte.“ Man ging weg von der Grundeinstellung, dass für die Daseinsversorgung der Staat zuständig ist. Langfristig werde man über das gesamte System nachdenken müssen.

Was das Thema der Pflegfachkräfte angehe, müsse neben guter Bezahlung und guter Arbeitsbedingungen für die das BRK stehe, es ganz allgemein um mehr Wertschätzung für die Berufe gehen, die mit Menschen zu tun haben. Sie nehme da auch die Erzieherinnen, die Lehrer, die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte nicht aus. „Sie alle sind für unser Zusammenleben ungeheuer wichtig“, unterstrich Karl. „Die Wertschätzung für diese Berufe ist gleich fast null und das zehrt an den Menschen. Viele schmeißen entnervt das Handtuch.“ Deshalb plädiere sie ebenso für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), das man wieder aufgreifen und forcieren müsse.

Es müssen doch Leute auch abnicken, was die Idioten da machen.

Chirurg Dr. Heinrich Gref

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