Corona-Pandemie – wie Krankenhäuser ihre Personalsituation verbessern können

Donnerstag, 19. März 2020
Gelsenkirchen. In Deutschland fehlen über 17.000 Pflegekräfte, mehr als 4.100 Mitarbeiter allein im Bereich der Intensivmedizin. Die vorhandenen Pflegekräfte sind bereits heute massiv überlastet, was sich in der Vergangenheit in hohen Fehlzeiten ausdrückte. Nach dem TK-Gesundheitsreport 2019 fielen Kranken- und Altenpflegekräfte im Schnitt jährlich für rund 23 Tage krankheitsbedingt aus. Das sind acht Tage und damit über 50 Prozent mehr als in der Vergleichsgruppe aller Beschäftigten (15 Tage). Bei der Art der Erkrankung rangieren die Rücken- und Gelenkerkrankungen, vermehrt aber auch die psychischen Erkrankungen auf den oberen Rangplätzen. Vorrangig haben viele Krankenhäuser versucht, den Ausfall von Personal durch Zeitarbeitnehmer auszugleichen. Leiharbeitnehmer sind heute und nach dem Corona-Ausbruch am Arbeitsmarkt nicht mehr verfügbar.

Krankenhäuser können ihre Personalsituation immer noch verbessern
Maßnahmen des Gesetzgebers, die zu einer Verzögerung der Erkrankungs- und Einweisungshäufigkeit in Krankenhäusern führen sollen, können Krankenhäuser weiterhin nutzen, um ihre Personalsituation zu verbessern. Krankenhäuser haben immer schon ehemalige oder pensionierte Mitarbeiter davon überzeugt, wenigstens stundenweise wieder im Krankenhaus als Aushilfen zu arbeiten. Einige Krankenhäuser haben auch die Breite möglicher Arbeitszeitmodelle ausgeweitet, so dass Mitarbeiter später ihren Dienst aufnehmen, nur stundenweise oder auch nur nachts arbeiten können. Gerade im Pflegedienst gibt es bereits eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, die eine Anpassung der Arbeit an die konkrete Lebenssituation der Pflegekräfte ermöglicht.

Vertrauen zwischen den Sozialpartnern und der Politik als notwendige Grundlage
Gesetzgeber, Krankenkassen und Kliniken müssen sich zusammensetzen, um einige Fehlsteuerungen der Vergangenheit umgehend zu korrigieren, die vor allem zu mehr Belastung des Personals geführt haben. Im Einzelnen könnte jetzt die Zeit vor dem Höhepunkt der Corona-Pandemie genutzt werden, um folgende Maßnahmen umzusetzen:
•    Krankenkassen und Krankenhäuser sollten sich schnellstmöglich darauf verständigen, den Umfang der ärztlichen und pflegerischen Dokumentation auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Die Krankenkassen müssen mehr Vertrauen zu den Krankenhäusern haben, dass sie ihre Dokumentationen richtig ausfüllen und nicht zum Zweck der Entgelterhöhung manipulieren. Strafzahlungen für unvollständige Dokumente müssen ausgesetzt, aufwendige MDK-Prüfungen (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) und Sozialgerichtsprozesse vermieden werden. Krankenhausrechnungen sind ohne Abzüge innerhalb von wenigen Tagen zu begleichen und nicht ex post zu korrigieren.
•    Mitarbeiter der Krankenkassen, die derzeit dort nur für die Kontrolle der Krankenhausabrechnungen eingesetzt werden, sollten als Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern arbeiten können. In jeder Krankenkasse arbeiten Ärzte und Pflegekräfte, die sofort verfügbar sind und den Pflege- und ärztlichen Dienst in Krankenhäusern unmittelbar entlasten könnten.
•    Der Gesetzgeber und die Tarifpartner müssten für eine Übergangszeit die Regelungen zum Arbeitszeitgesetz, die unter anderem eine Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und strickte Pausenregelungen verlangen sowie die Zahl von Bereitschaftsdiensten begrenzen, unbedingt lockern. Entstehende Überstunden und Mehrarbeit sollten unversteuert voll vergütet und von den Krankenkassen unbürokratisch refinanziert werden.
•    Psychische Belastungssituationen sollten dringend entschärft werden, zum Beispiel durch ein verstärktes Angebot an professionellen Gesprächspartnern in den Kliniken, die unaufdringlich auf den Pflegestationen und im Intensivbereich ihre Unterstützung anbieten. Gesundheitsförderer könnten übereifrige Mitarbeiter davor warnen, das Ansteckungsrisiko bei anderen Mitarbeitern dadurch zu erhöhen, dass sie trotz sichtbarer Überlastung und Krankheit zur Arbeit gehen.
•    Jedes Krankenhaus sollte überlegen, so viele Hilfskräfte wie möglich im Stationsdienst, in den Versorgungs- und Transportdiensten und im stationären Verwaltungsdienst (zum Beispiel Stationssekretärinnen) einzusetzen. Die ausgesetzte Pflegepersonaluntergrenzenverordnung dürfte die Möglichkeit bieten, die bereits früher tätigen Hilfskräfte wiedereinzustellen und somit die Pflegekräfte von allen Tätigkeiten zu entlasten, die nichts mit der Krankenversorgung am Bett zu tun haben. Alle pflegefremden Aufgaben sind somit konsequent an Mitarbeiter ohne pflegerische Ausbildung oder an andere Hilfskräfte zu delegieren. Die Hilfskräfte sind deutlich über dem Mindestlohn zu vergüten, um ein attraktives Beschäftigungsangebot zu bieten und schnellstmöglich die Zahl der Mitarbeiter in den Unterstützungsdiensten zu erhöhen. Die verbleibende Zeit, bis zu der sich die Zahl der eingewiesenen Corona-Patienten massiv erhöhen wird, sollte für das Anlernen und Einarbeiten dieser Mitarbeiter konsequent genutzt werden. Für die Mitarbeitersuche sollten moderne Videofilme (Testimonials) gedreht werden, die Arbeitsplatzangebote bis auf das Handy der Zielgruppen sichtbar werden lassen.

Life-Work-Balance –  Entlastungsmöglichkeiten außerhalb der Arbeitszeit
Die meisten Vorschläge, die auch von Krankenhäusern je nach Situation schon umgesetzt werden, beziehen sich vor allem auf die Arbeit in den Krankenhäusern. Die drei nachfolgenden Vorschläge könnten die Mitarbeiter von Aufgaben entlasten, die sie sonst nach der Arbeit erledigen müssen:
•    Mitarbeiter von Krankenhäusern können ihre gewaschene Privatwäsche an einer speziell eingerichteten Stelle beim Arbeitsbeginn abgeben und erhalten sie nach dem Arbeitstag gebügelt und abholbereit zurück. Ein solcher Wäscheservice würde viele weibliche und alleinerziehende Mitarbeiter massiv von mehreren Stunden täglicher Hausarbeit entlasten.
•    Den Mitarbeitern von Krankenhäusern sollte es möglich sein, nach ihrem anstrengenden Dienst keine zusätzlichen Einkäufe mit hohem Zeitaufwand und erheblichem Ansteckungsrisiko vornehmen zu müssen. Ein vom Krankenhaus eingerichteter Einkaufsservice könnte „alles aus einer Hand“ übernehmen, am Morgen die Bestellungen von Mitarbeitern entgegennehmen und für sie tagsüber einkaufen. Am Ende des Tages werden die Waren zum Einladen in den Kofferraum der Mitarbeiter direkt am Krankenhaus bereitgestellt. Das spart mindestens ein bis zwei Stunden Freizeit pro Tag, die eher für die Kinderbetreuung oder einfach zum Ausspannen genutzt werden könnten.
•    Mitarbeitern ohne Fahrzeug, die sich der täglichen Ansteckungsgefahr in öffentlichen Verkehrsmitteln aussetzen müssen oder öffentliche Verkehrsmittel mit eingeschränkten Fahrzeiten und Verbindungen nutzen müssen, könnten vom Krankenhaus ein Fahrzeug, ein Elektroroller oder ein E-Bike gestellt bekommen. Damit könnten neben der Senkung des Ansteckungsrisikos auch noch die Reisezeiten von und zur Arbeit minimiert werden.

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Prof. Bernd Mühlbauer, Experte für Gesundheitsmanagement an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen, empfiehlt, wie Krankenhäuser ihre Personalsituation in der Corona-Krise verbessern können. Foto: WH/BL, Abdruck honorarfrei im Zusammenhang mit Westfälischer Hochschule; Bild-Download für Redaktionen in der rechten Spalte: WH-19-213-WH

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