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Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Leipziger Ärzte-Affäre um Körperverletzung und Betrug: Wie geht es jetzt weiter?

Die Acquaklinik in der Käthe-Kollwitz-Straße in Leipzig sowie HNO-Praxen, die zum Kopfzentrum gehören, blieben am Tag nach der Razzia geschlossen.

Die Acquaklinik in der Käthe-Kollwitz-Straße in Leipzig sowie HNO-Praxen, die zum Kopfzentrum gehören, blieben am Tag nach der Razzia geschlossen.

Leipzig. Es geht um Abrechnungsbetrug, Behandlungsfehler und sogar Körperverletzung: Das umfangreiche Ermittlungsverfahren gegen zehn Ärzte und zwei kaufmännische Führungskräfte in Leipzig wird die Ermittlungsbehörden noch über Monate beschäftigen. Am Dienstag hatten insgesamt 300 Einsatzkräfte 30 Arztpraxen sowie medizinische Versorgungszentren und Geschäftsräume in Leipzig und weiteren Städten durchsucht, dabei umfangreiches Beweismaterial wie Geschäftsunterlagen, Handys und Computer sichergestellt. Was ist bisher bekannt und wie geht es nun weiter? Die LVZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

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Was wird den Beschuldigen konkret vorgeworfen?

Gegen sechs von ihnen besteht nach Angaben der Staatsanwaltschaft Leipzig der Verdacht des Betruges. „Sie sollen teilweise einzeln, teilweise gemeinschaftlich handelnd im Zeitraum von 2017 bis 2021 systematisch ärztliche Behandlungen unter Verstoß gegen den Grundsatz der peinlich genauen Leistungsabrechnung wissentlich und willentlich falsch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) abgerechnet haben“, so Behördensprecherin Christine Schumann. Schwer wiegt zudem der Verdacht der Körperverletzung: Sechs Ärzte sollen Operationen fehlerhaft ausgeführt haben. Einige von ihnen haben nach Erkenntnissen der Ermittler sogar chirurgische Eingriffe vorgenommen – aus rein wirtschaftlichen Interessen, ohne medizinische Notwendigkeit. Hinzu kommen Vorwürfe gegen drei Personen wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und Heilmittelwerbegesetz.

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Beschlagnahmte Gegenstände bald wieder in Praxen

Um welche Praxen und Ärzte geht es?

Staatsanwaltschaft und Polizei teilen dazu offiziell nichts mit. Wie aus Ermittlerkreisen zu erfahren war, haben die Behörden unter anderem die auf Operationen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich spezialisierte Leipziger Acquaklinik im Visier. Im Zentrum der Ermittlungen soll nach Recherchen des MDR-Magazins Exakt das Kopfzentrum Leipzig stehen. Das medizinische Versorgungszentrum betreibt im Osten Deutschlands ein ganzes Netz von HNO-Praxen und stellt zumeist die Indikationen für derartige Eingriffe. 2021 hatte der MDR in zwei Beiträgen über entsprechende Vorwürfe gegen die Acquaklinik berichtet. Auch die LVZ recherchierte den Fall eines betroffenen Patienten. Während des Zeitraums, in dem sich die mutmaßlichen Straftaten ereignet haben sollen, leitete Gero Strauss sowohl die Acquaklinik als auch das Kopfzentrum.

Haben sich die Verantwortlichen dieser Einrichtungen dazu geäußert?

Als erste Vorwürfe im vergangenen Jahr aufkamen, hatte der damalige Acquaklinik-Geschäftsführer Professor Dr. med. Gero Strauss diese zurückgewiesen. Am Tag der Razzia war er für die LVZ nicht erreichbar. Inzwischen teilt eine Mailbox der Kopfzentrum Acqua Medical Group mit: „Wegen einer umfangreichen technischen Störung ist der Praxisbetrieb in dieser Woche eingestellt.“ Ab 17. Oktober stehe man „wie gewohnt“ zur Verfügung.

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Praktizieren die anderen Einrichtungen des Kopfzentrums weiter?

Die meisten der neun Leipziger Praxen sind laut Homepage zumindest bis einschließlich 14. Oktober geschlossen, ebenso wie an den Standorten in Colditz, Dresden, Gera, Halle, Magdeburg und Machern. In einigen dieser Einrichtungen sollen nach Angaben aus Behördenkreisen am Dienstag ebenfalls Durchsuchungen stattgefunden haben. Praxen in Berlin und Witten haben hingegen normal geöffnet. Rein rechtlich dürfen nach Auskunft von Juristen auch die ins Visier geratenen Ärzte weiter ihren Beruf ausüben, da für sie die Unschuldsvermutung gilt. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen teilte mit, dass die weitere Entwicklung maßgeblich vom Ergebnis der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden abhängig sei. Nach deren Aussage würden beschlagnahmte Gegenstände alsbald an die betroffenen Betriebsstätten wieder herausgegeben, sodass die Einrichtungen in Kürze weiter praktizieren können, so die KVS.

Kürzlich haben sich die Eigentumsverhältnisse der Acquaklinik geändert. Wie gehen die neuen Eigner mit den jüngsten Entwicklungen um?

Einer Mitteilung vom August zufolge hat die Vicus Medical GmbH ihre Beteiligung an der Acquaklinik-Gruppe an die Halder-Investorengruppe sowie deren Co-Investoren verkauft. „In diesem Zuge hat Prof. Gero Strauss ebenfalls seine Medizinischen Versorgungszentren und Einzelpraxen an die Investoren verkauft“, hieß es in der Information.

Noch kein Statement von Investorengruppe

Strauss sei als langjähriger geschäftsführender Gesellschafter der Acqua Medical Group maßgeblich mit der Expansion des ambulanten Klinikaufbaus betraut und werde in Zukunft weiterhin fachkompetent in der Acquaklinik tätig sein. Die seit 2009 existierende Klinik sei mit über 25.000 Eingriffen überregionaler Marktführer für HNO-Chirurgie. Zu dem jüngsten Ermittlungsverfahren gab es von der Halder GmbH in Frankfurt am Main am Mittwoch kein Statement. Auf Anfrage der LVZ hieß es, dies werde unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

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Was bedeuten die Ermittlungen für betroffene Patienten und Opferanwälte? 

„Die Staatsanwaltschaft wird als Behörde objektiv ermitteln, ich kann das nur befürworten“, sagte Gabriele Mayer, Leipziger Fachanwältin für Medizinrecht in der Rechtsanwaltskanzlei Professor Mayer & Kollegen, auf Anfrage. Sie vertrat bereits eine Vielzahl von Patienten, die wegen mutmaßlich falscher Behandlung in der Acquaklinik, zivilrechtliche Schritte unternommen hatten. In einem Fall, über den die LVZ berichtete, waren ihrem Mandanten, dessen Zustand lebensbedrohlich gewesen sei, eine fünfstellige Summe zugesprochen worden. „Es sind einfach zu viele Vorfälle, das muss aufgeklärt werden“, sagte die Rechtsanwältin. „Wenn das nicht rechtmäßig war, muss es gestoppt werden. Operationen ohne Indikation – das geht überhaupt nicht“. Auch einige ihrer Mandanten seien schon polizeilich vernommen worden.

Kann aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung ein solcher Fall künftig verhindert werden?

„Die Ermittlungsmaßnahmen der Leipziger Staatsanwaltschaft stehen im Zusammenhang mit seitens unserer Körperschaft festgestellten Auffälligkeiten bei der Abrechnung von ärztlichen Leistungen durch das Kopfzentrum“, so die KVS gegenüber der LVZ. Man gehe davon aus, dass die Aufklärung konkreter praxisbezogener Auffälligkeiten in Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden sowie eine strafrechtlichen Bewertung durch Gerichte eine große präventive Wirkung entfalten. Die KVS werde sich deshalb „im Rahmen des Zulässigen und Möglichen“ einbringen.

Wie geht die Landesärztekammer (LÄK) Sachsen mit dem sich anbahnenden Skandal um?

Der LÄK liegen Hinweise von Patienten der Acquaklinik vor. Außerdem wurde eine unabhängige Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen eingerichtet. „Zu unseren Recherchen zur Acquaklinik und den zugehörigen Kopfzentren möchte ich mich auch wegen der laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bedeckt halten“, sagte LÄK-Präsident Erik Bodendieck.

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Offenbar Vielzahl von geschädigten Patienten

Wie viele geschädigte Patienten gibt es?

Die Staatsanwaltschaft hält sich zu derartigen Details ausgesprochen bedeckt, ließ eine ganze Reihe von Fragen der LVZ unbeantwortet und verwies auf die noch laufenden Ermittlungen. So ist beispielsweise auch unklar, wie hoch der durch den mutmaßlichen Abrechnungsbetrug entstandene Schaden ist. Offenbar wurde ein Vielzahl von Patienten geschädigt. Von Patientenanwälten ist zu hören, dass sie Betroffene im zweistelligen Bereich wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld vertreten haben.

Welche Strafen drohen den Beschuldigten im Falle einer Verurteilung?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, da eine Reihe von Straftatbeständen in Frage kommen und bei mehreren Vorwürfen auch Gesamtstrafen gebildet werden müssten. Im Ermittlungsverfahren zu klären ist etwa die Frage, ob eine Körperverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Der Strafrahmen sieht hier Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von höchstens drei beziehungsweise fünf Jahren vor. Juristen sagen, dass – einfach formuliert – im Grunde jeder ärztliche Eingriff eine Art Körperverletzung darstellt. Daher muss ein Patient seine Zustimmung geben, nachdem er über alle möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde.

Auch bei den in Frage stehenden Betrugsvorwürfen kämen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren in Betracht, in besonders schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahren. Selbst die vorgeworfenen Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz können bis zu drei Jahre Haft nach sich ziehen. Vor knapp drei Jahren wurde in Rostock ein Neurochirurg zu zehneinhalb Jahren Knast verurteilt, weil er eine Patientin zu einer unnötigen Halsoperation überredet und diese fehlerhaft ausgeführt hatte.

LVZ

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