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Wer in der Pflege arbeiten will, sollte körperlich und psychisch belastbar sein.

© dpa/Tom Weller

„Einige Richtlinien sind 40 Jahre alt“: Warum Berlin über eine Pflegekammer debattieren wird

Ärzte und Apotheker haben eigene Kammern, warum nicht auch Pflegekräfte? Nach der Wahl dringt Pflegerat-Präsidentin Christine Vogler auf einen neuen Anlauf.

Noch ist unklar, was Berlins sich abzeichnende Koalition alles vorhat. Doch die Chancen steigen, dass ein schwarz-rotes Bündnis über eine Pflegekammer reden wird. Schon letztes Jahr hatte die CDU dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die SPD war lange dagegen, teilte aber vor der Februar-Wahl mit: Wenn sie gut vorbereitet sei, könne eine Pflegekammer kommen.

„Der Wunsch nach Selbstverwaltung und Mitbestimmung unter den Pflegenden ist riesig, er braucht einen gesetzlichen Rahmen“, sagt Christine Vogler. „Eine Kammer sichert Belange und Mitsprache der Pflegenden – und sie kann Daten und Strategien für eine sachgerechte Versorgung liefern.“

Vogler ist Präsidentin des Deutschen Pflegerats, einer Arbeitsgemeinschaft von Fachverbänden, und zudem Chefin der gemeinsamen Ausbildungsstätte von Charité und Vivantes. Vogler sagt, die Pflege müsse endlich ihre Kompetenz einbringen dürfen – auch jenseits der Krankenbetten: „Und zwar in den Gremien, die Richtlinien festlegen, Gelder verteilen, Gesetzgeber beraten.“

Eine Kammer kann den Pflegeberuf umfassender prägen.

Christine Vogler, Leiterin am Berufsausbildungscampus von Vivantes und Charité

Im Gemeinsamen Bundesausschuss, das dem Gesundheitsministerium unterstellte oberste Entscheidungsgremium der Branche, sitzen Vertreter der Krankenkassen, Kliniken, Ärzte – Pflegeexperten fehlen. „Einige der Fort- und Weiterbildungsrichtlinien für Pflegekräfte sind 40 Jahre alt“, sagt Vogler. „Und niemand hat uns seitdem dazu gefragt.“

CDU-Entwurf: Kammer für voll ausgebildete Pflegekräfte

Kammern sind Ländersache, die sich im Bund meist zu Dachorganisationen zusammenschließen. Einer Kammer müssen alle Angehörigen eines Berufes angehören, sie zahlen Mitgliedsbeiträge. Als Körperschaft öffentlichen Rechts erhält eine Kammer quasi-hoheitliche Befugnisse. Sie erlässt Richtlinien und prüft Abläufe.

Die Grünen sind traditionell für eine Pflegekammer, die ihnen zufolge öffentliche Anschubfinanzierung erhalten sollte. Ob sie eine Kammer bräuchten, teilte die Linkspartei mit, müssten die Pflegekräfte entscheiden. Auch die AfD sagte, das Votum der Pflegenden müsse für die Politik bindend sein.

Dem CDU-Gesetzentwurf zufolge sollen der Kammer die examinierten Beschäftigten der Zunft angehören, also die voll ausgebildeten Pflegekräfte – andere Mitarbeiter der Branche könnten freiwillig Mitglied werden. In Berlin sind schätzungsweise 45.000 der 70.000 beruflich in der Pflege tätigen Männer und Frauen examiniert.

Ob Berlins Pflegekräfte mehrheitlich eine Kammer wollen, ist nicht klar. Derzeit gibt es Pflegekammern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden die erst vor einigen Jahren gegründete Standesvertretungen nach Umfragen unter Pflegekräften wieder aufgelöst.

„Pflege im Gesundheitssystem muss eine Stimme bekommen“

Vogler zeigt sich an diesem heiklen Punkt wenig kompromissbereit: „Wenn wir in Berlin auch in Zukunft gute Pflege wollen, braucht es keine Befragung mehr – es braucht ein Kammergesetz, damit die Pflege im Gesundheitssystem endlich eine Stimme bekommt.“

Kammern gibt es unter anderem für die meist als „freie Berufe“ bezeichneten Ärzte, Apotheker, Anwälte. Viele Klinik- und Pflegeheimbetreiber fürchten, eine neue Kammer erzeuge zusätzliche Bürokratie. Auch die unter Pflegekräften stärkste Gewerkschaft, die DGB-Organisation Verdi, lehnt eine Kammer ab: Für Tarifverträge dürfe eine Kammer ohnehin nicht kämpfen.

„Um Löhne und Arbeitszeiten streiten die Gewerkschaften, das ist richtig so“, sagt Vogler. „Doch eine Kammer kann helfen, die Bedingungen auch darüber hinaus zu verbessern, sie kann den Berufsstand umfassender prägen. Eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist da wünschenswert.“

Was auch immer die Politik plant, der Aufbau einer Kammer braucht Geld und Zeit. „Die erste Phase muss staatlich finanziert werden, die Zukunft des Pflegeberufs ist zu wichtig, um daran zu sparen“, sagt Vogler. „Vor allem aber dauert es Jahre, bis die Kammer wirkt – kompetent und demokratisch.“

Für den Aufbau ihrer Standesvertretung könnten sich die Pflegekräfte an der Ärztekammer orientieren. Alle 35.000 in Berlin zugelassenen Mediziner dürfen Vertreter in die Delegiertenversammlung der Kammer wählen. Dazu organisieren sich die Kandidaten ähnlich politischer Parteien über Wahllisten. Die 45-köpfige Delegiertenversammlung fungiert als Ärzteparlament, das den Kammervorstand wählt. Die stärkste Fraktion in der Delegiertenversammlung stellt derzeit der Marburger Bund, die Gewerkschaft der Klinikärzte. Deren Landeschef Peter Bobbert ist Kammerpräsident.

Sollte bald tatsächlich Schwarz-Rot regieren, blieben der Koalition kaum drei Jahre. Der Wahlkampf für die Abgeordnetenhauswahl 2026 startet Monate zuvor, schon 2025 wird zudem für den Bundestag abgestimmt.

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