Berlin. Das Berliner Start-up Medwing vermittelt Leiharbeitskräfte an Kliniken und medizinische Einrichtungen. Doch es gibt Kritik.

Das Geschäftsmodell von Johannes Roggendorf und Timo Fischer soll den Mangel verwalten, aber auch dazu führen, die wohl noch größer werdende Lücke zu füllen: Vor zweieinhalb Jahren haben die beiden Berliner das Start-up Medwing gegründet. Das Internetportal ist die digitale Antwort auf den Pflegenotstand.

Medwing verteilt eigenes Personal wie Pflegekräfte und Krankenpfleger auf die Schichtpläne in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen. Das Start-up übernimmt aber auch ganz klassische Aufgaben eines Recruiting-Unternehmens und vermittelt medizinische Fachkräfte fest auf freie Stellen.

Medwing in Berlin: 100.000 Pflege- und Krankenhausarbeitskräfte nutzen Portal

Inzwischen nutzen deutschlandweit mehr als 100.000 Pflege- und Krankenhausspezialisten das Berliner Portal. Medwing sei damit zu einem der größten Arbeitnehmerpools für medizinische und pflegerische Berufe in Deutschland und Europa herangewachsen, sagt Johannes Roggendorf. Allein in Berlin seien im Oktober dieses Jahres rund 1000 sogenannte Schicht-Retter – also Personal, das Lücken in Dienstplänen füllt – vermittelt worden. Dazu kommen monatlich über 100 vermittelte Festanstellungen in Berlin.

Pflegekräfte dringend gesucht: Ein Krankenpfleger schiebt in einer Klinik ein Krankenbett durch den Flur.
Pflegekräfte dringend gesucht: Ein Krankenpfleger schiebt in einer Klinik ein Krankenbett durch den Flur. © dpa | Daniel Bockwoldt

Das Berliner Portal hat die Vermittlungsdienstleistung digitalisiert. Die Zuteilung auf Dienstpläne übernimmt ein Algorithmus. Medwing will so vor allem auch das Leid des Gesundheitswesen selbst ein wenig lindern. Denn deutschlandweit fehlen Kliniken und Einrichtungen Hunderttausende Fachkräfte. Angesichts der alternden Gesellschaft dürfte der Personalbedarf in den kommenden Jahrzehnten zudem weiter anwachsen.

Kaum verwunderlich ist da, dass die Nachfrage der Kliniken nach Innovationen im Bereich Personalvermittlung groß ist. Deutschlandweit arbeitet Medwing mit rund 2300 Einrichtungen zusammen, in Berlin greifen etwa 200 Kliniken und Pflegehäuser auf die digitale Dienstleistung zurück.

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Fachkräfte und Kliniken sollen über Medwing zueinander finden

„Egal, welche Berufsgruppe wir uns in der Gesundheitswirtschaft anschauen: Es gibt überall Notstand“, sagt Mitgründer Johannes Roggendorf. Die Medwing-Technik soll zunächst ein klassisches Problem lösen: Auf der einen Seite gibt es Tausende medizinische Fachkräfte, die gerne flexibel arbeiten möchten oder aber gar nicht mehr in ihrem ursprünglich erlernten Beruf tätig sind. Häufig stehen etwa familiäre Verpflichtungen oder – bei Menschen, die etwas gänzlich anderes machen – die zuvor unattraktiven Arbeitsbedingungen im Weg.

Auf der anderen Seite gibt es tausende Einrichtungen, die händeringend nach Personal suchen. Nur: Bislang fanden beide Seiten nur beschwerlich oder häufig auch gar nicht zueinander. Durch Medwing erhalten nun sowohl Kliniken als aus Fachkräfte eine Chance, das zu ändern.

Diese Form des Personaleinsatzes ist vor allem in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Berlin weit verbreitet. Nach Angaben der Berliner Krankenhausgesellschaft liegt die Leiharbeitsquote im medizinischen Bereich in der deutschen Hauptstadt weit über dem Bundesschnitt von etwa zwei Prozent. Entsprechend kritisch sehen die Krankenhaus-Lobby wie auch Arbeitnehmervertreter das Geschäftsmodell von Medwing.

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Berliner Krankenhausgesellschaft will Verbot von Leiharbeit in der Medizin

Die Sozialstruktur in den Kliniken leide im Ganzen unter der zunehmenden Leiharbeit, sagt etwa der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft, Marc Schreiner. „Angestellte haben keine Sicherheit und kein kollegiales Zuhause, der Patient hat kein fest eingespieltes Versorgungsteam, das Sicherheit und Qualität garantiert, und die Kliniken zahlen in Millionenhöhe“, so Schreiner, der für 60 Krankenhäuser und 46 stationäre Pflegeeinrichtungen in Berlin spricht, weiter. Die Krankenhäuser würden es deshalb sogar begrüßen, wenn es gar ein gänzliches Verbot von Leiharbeit im medizinischen Bereich gebe.

Schreiner betont, dass die rasante Entwicklung des Leiharbeitsmarktes sogar Fehlentwicklungen bedinge, die die Patientensicherheit auf Dauer gefährden könnten. „Die vielen Qualitätsvorgaben und Verpflichtungen, die Krankenhäuser einhalten, sind nur in einem festen Team zu garantieren. Für Patienten und die Kliniken bringt die Entwicklung nur Nachteile, denn Krankenhäuser benötigen dringend festangestellte Pflegekräfte“, erklärt Schreiner.

Eine Pflegerin hält die Hand einer alten Frau. Der Pflegenotstand macht sich nicht nur in Krankenhäusern bemerkbar.
Eine Pflegerin hält die Hand einer alten Frau. Der Pflegenotstand macht sich nicht nur in Krankenhäusern bemerkbar. © dpa | Christophe Gateau

Pflegeverband: Durch Provision für Leiharbeitsfirmen geht Gesundheitssystem Geld verloren

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hält nur wenig von der Medwing-Dienstleistung. „Der Mangel an Pflegefachpersonen ist bundesweit so groß, dass man keinen Vermittler benötigt, um einen Arbeitsplatz zu finden“, sagt DBfK-Sprecherin Johanna Knüppel. Meist reiche bereits ein Anruf in der gewünschten Einrichtung aus, um einen Arbeitsplatz zu finden. Vermittler, sagt Knüppel, lassen sich ihre Dienstleistung vor dem Hintergrund des Mangels zudem gut bezahlen, so Knüppel. So gehe dem Versorgungssystem Geld verloren, das an anderer Stelle fehle.

Man erhalte für die Vermittlung von Leiharbeitskräften, aber auch von festem Personal, branchenübliche Provisionen, entgegnet Medwing. Das Unternehmen sorge zudem für soziale Kontakte der eigenen Mitarbeiter untereinander. Regelmäßig gebe es – auch am Standort Berlin – Teamevents. Die Leistung, die Medwing für seine Arbeitskräfte erbringe, gehe zudem weit über die eines herkömmlichen Personaldienstleisters hinaus. So helfe das Berliner Start-up Fachkräften unter anderem auch bei der Wohnungssuche, biete Fortbildungen an. Für Personal mit Kindern stünden an einigen Standorten zudem Betreuungsmöglichkeiten bereit. Wenn gewünscht, schreibt Medwing auch Bewerbungen und Lebensläufe – ein Service, der bislang vor allem Top-Managern angeboten wurde.

Medwing-Kartei wächst um 10.000 Fachkräfte im Monat

Profitabel ist das junge Unternehmen noch nicht. Das Wachstum aber gibt den Gründern und ihren Investoren recht: Jeden Monat kann Medwing etwa 10.000 zusätzliche Fachkräfte in die Kartei aufnehmen. Bevor das Personal auf Schichtpläne, die von Kliniken und anderen Einrichtungen an Medwing gemeldet werden, verteilt wird, überprüfen Mitarbeiter des Start-ups Bewerber gründlich – gewissermaßen auf Herz und Nieren. Lediglich zehn Prozent der Bewerber, die über die Internetplattform bei Medwing vorstellig werden, nimmt das Unternehmen hinterher auch in die Vermittlungskartei auf.

Vorstellungsgespräche führt Medwing in den eigenen Büros in Berlin-Mitte, aber auch an den weiteren Standorten in Deutschland durch. Derzeit gibt es neben Berlin Büros in Hamburg und München. Auch in London und Paris haben kürzlich Offices eröffnet. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen derzeit 130 Mitarbeiter, die sich um die Personaldienstleistungen kümmern.

Medwing bildet im Ausland auch medizinisches Personal aus

Geldgeber, die Medwing finanzieren, dürfte auch das globale Potenzial des Geschäftsmodells angelockt haben. Weltweit, sagt Mitgründer Roggendorf, werden bis 2030 rund 15 Millionen sogenannter Healthcare-Professionals fehlen. Die Berliner Firma arbeitet deshalb auch daran, die Zahl der Pflegekräfte in den jeweiligen Ländern zu vergrößern.

Derzeit vermittelt Medwing unter anderem rund 100 examinierte Pflegefachkräfte aus den Philippinen, die momentan in Deutschkursen auf ihre neue Heimat vorbereitet werden. Das Start-up kümmert sich um den gesamten Anerkennungs- und Integrationsprozess. Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Deutschland sei jedoch nach wie vor eine Herausforderung, so Roggendorf.

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