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Der Anstieg von Covid-19-Erkrankungen in Brandenburg geht aktuell vor allem auf Potsdam und das Bergmann-Klinikum zurück.

© Tobias Schwarz/AFP

Brandenburgs Gesundheitsministerin über das Coronavirus: „Covid-19 wird uns als Krankenhausinfektion beschäftigen“

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher im Interview über den Kampf gegen die Corona-Pandemie und den Infektionsausbruch in Potsdam.

Ursula Nonnemacher, 62, Grüne, war seit 1983 Klinikärztin in Berlin-Spandau, lebt in Falkensee, wurde 2009 Landtagsabgeordnete in Brandenburg und 2019 Gesundheitsministerin.

Frau Nonnemacher, wie ist die Corona-Lage in Brandenburg?
Ich glaube, wir haben die Ziele, die wir uns gesteckt haben, nämlich durch die Eindämmungsverordnung und die Kontaktreduzierung den Anstieg der Infiziertenzahlen abzubremsen, gut erreicht.

Im Moment besteht in Brandenburg keine Gefahr, dass die Kapazitäten des Gesundheitswesens überschritten werden. In einigen Regionen sind so viele Betten freigehalten worden, dass in den Klinken jetzt deutlich weniger los ist als an anderen Tagen. Das ist eine gute Nachricht.

Es gibt eine Klinik, das Potsdamer Ernst- von-Bergmann-Klinikum, die ein Infektionsschwerpunkt im Land ist. Wieso konnte es dort so weit kommen?
Am Ernst-von-Bergmann-Klinikum haben wir eine sehr ernste Situation. Aber wir werden uns darauf vorbereiten müssen, dass uns Covid-19 zunehmend als Krankenhausinfektion und als Krankheit, die sich in Pflegeheimen ausbreitet, beschäftigen wird. 

Da, wo viele Kranke und wo Pfleger Tag für Tag mit Menschen zusammenkommen, ist Covid-19 eine echte Herausforderung. 

Das hängt damit zusammen, dass der Erreger schon zweieinhalb Tage vor den ersten Symptomen infektiös ist. Bei der Verbreitung hat man es häufig mit jungen Patienten mit gutem Allgemeinzustand zu tun, die schon infektiös sind, es aber gar nicht bemerken.

Wie soll man damit weiter umgehen?
In Kliniken muss generell sehr viel getestet werden. Es müssen ganz klare Auflagen gelten, eine strikte Trennung zwischen Covid-19-Patienten und anderen Patienten bis ins Pflegepersonal hinein.

Dass in Potsdam in einigen Bereichen die Infektionsketten nicht früh genug aufgedeckt worden sind, ist misslich. Wenn Sie sich die Steigerungen bei den Infiziertenzahlen anschauen, die wir in Brandenburg haben: Das geht mittlerweile hauptsächlich auf Potsdam und den Cluster um das Bergmann-Klinikum zurück. Dort wird jetzt aber sehr konsequent reagiert.

In der Uckermark und der Prignitz sind die Covid-Zahlen noch sehr gering. Wird es dort bald Covid-freie Landkreise geben?
Wir haben ganz sicher unterschiedliche regionale Betroffenheiten im Land. Allerdings brauchen wir im Kampf gegen das Virus einen gewissen Gleichklang, auch wenn wir regionalen Unterschieden gerecht werden müssen. 

Ob wir es so schnell erleben werden, dass ein Landkreis komplett Covid-frei wird, denke ich nicht. Wir stehen bei der Krankheit noch ganz am Anfang. Das Robert-Koch-Institut und auch wir hier in Brandenburg planen derzeit Immunitätsstudien, bei denen geguckt wird, wer schon alles Antikörper entwickelt hat und wie die Immunitätslage ist. Dann wissen wir da mehr.

Ein Problem in Kliniken, Altenheimen und bei Pflegediensten ist fehlende Schutzausrüstung. Wann wird es genug geben?
Mir ist schmerzlich bewusst, dass das eines der größten Probleme ist, gerade da, wo erkrankte Patienten, Risikogruppen und Hochbetagte leben. Da ist ein Mangel nicht tolerabel.

Der Bund ist frühzeitig eingestiegen und hat versucht zu liefern. Das gab bislang viele Enttäuschungen – aber wir erwarten wieder eine größere Lieferung. Zusätzlich haben wir versucht, auf Landesebene Kontakte herzustellen.

Wir haben selber Material bestellt. Aber wir müssen auch aufpassen: Wir haben schon einige Fälle gehabt, wo man uns grob schadhafte Ware geliefert hat. Und kaputte Masken helfen am Ende auch nicht.

Braucht es eine eigene Produktion von Schutzausrüstung in Brandenburg?

Kurzfristig können wir von Glück reden, dass die Produktion in China wieder hochgefahren worden ist. Dort hatte man ja durch die Quarantäne auch die Produktion von Schutzausrüstung reduziert. Derzeit gibt es 184 Länder weltweit, die alle nach Ausrüstung gieren. 

Wir haben uns, was die Schutzausrüstung und die Medikamente betrifft, auf eine globalisierte Wirtschaft eingelassen. Nun sehen wir: Das kann gefährlich werden. Deswegen müssen wir Anstrengungen unternehmen, auch die Produktion im Inland hochzufahren. Unser Wirtschaftsministerium und unsere Wirtschaftsförderung sind da dran. Aber man braucht Maschinen und Kapazitäten, die man nicht auf Knopfdruck hochfahren kann.

Die Opposition fordert, dass Sie Masken und Schutzanzüge doch auch beschlagnahmen sollten. Warum machen Sie das nicht?
Die Beschlagnahmung setzt den Katastrophenfall voraus. Das ist eine sehr, sehr drastische Maßnahme. Gleiches gilt für die Forderung, Mediziner zwangszuverpflichten. Dazu kommt, dass es die Masse an Produkten, die beschlagnahmt werden kann, ja gar nicht gibt. 

Natürlich hat es ärgerliche Beispiele gegeben: Baumärkte, die noch in den letzten Wochen medizinische Schutzausrüstung angeboten haben. Das ist ärgerlich, aber ich hoffe doch, dass die Lieferungen künftig umfangreicher werden.

Was halten Sie von den Vorschlägen, einen Mundschutz in der Öffentlichkeit oder beim Einkaufen zu tragen?
Die Diskussion um den Mund-Nasen-Schutz oder Behelfs-Mund-Nasen-Schutz ist ja sehr intensiv. Es gibt die klare Empfehlung des Robert-Koch-Instituts und von führenden Wissenschaftlern, dass Infizierte, auch unerkannt Infizierte, damit dazu beitragen können, dass sich andere Menschen nicht bei ihnen anstecken können. 

Denn diese Masken halten die Tröpfchen zurück, und beim Coronavirus läuft die Infektion nun einmal vor allem als Tröpfcheninfektion ab. Es hat also eine gewisse Schutzwirkung, auch wenn es den Träger nicht vor der eigenen Infektion schützt.

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Deswegen ist es gut, wenn Menschen solche selbstgenähten Masken tragen. Allerdings sollte man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen: Am wichtigsten bleibt es, die Abstandsregeln und die Hygieneregeln einzuhalten: Niesen in die Armbeuge und immer wieder braucht es die gründliche Händereinigung. 

Und es darf auf gar keinen Fall dazu kommen, dass der Verteilungskampf bei OP-Masken und medizinischen Masken noch schärfer wird. Zudem muss klar sein, dass diese Stoffmasken täglich bei mindestens 60 Grad gewaschen oder heiß gebügelt werden müssen.

Wie sollte es aus Ihrer Sicht weitergehen?
Inzwischen kennen wir Details aus der Studie, die im Kreis Heinsberg läuft. In dieser Woche wird das Robert-Koch-Institut berichten, was die Eindämmungsstrategien bundesweit gebracht haben. Und dann schauen wir natürlich auch auf unsere Zahlen. 

Im Blick all dieser Werte werden wir entscheiden müssen, wie wir weitermachen. Mir ist wichtig, dass man da in allen Bundesländern möglichst gemeinsam vorgeht. Am Mittwoch sind die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin zu einer Telefonkonferenz verabredet. Dort wird man sich vermutlich auf einen stufenweisen Prozess der Öffnung einigen.

Wie erleben Sie die Krise persönlich?
Mir geht es so wie vielen, die sich im Kampf gegen Covid-19 engagieren. Es ist eine dauerhafte Belastung, die fast nie aufhört. Ich bin nahezu ständig in Telefonschalten und Videokonferenzen, lese spät nachts noch Fachartikel und habe einen dicken Packen unerledigte Akten mit nach Hause genommen.

Auch Ostern habe ich einen Gutteil meiner Zeit im Ministerium und im Krisenstab verbracht. Aber: Ich bin gesund, und die Menschen um mich herum sind es auch. Ich bin froh, dass hier niemand erkrankt ist. Covid-19 ist eine extrem ungewöhnliche Situation für uns alle. Seit der Spanischen Grippe 1918 hat es so eine Pandemie nicht mehr gegeben – und ich glaube trotzdem, dass wir da gut herauskommen werden.

Ganz ehrlich: Würden Sie jetzt lieber als Ärztin im Krankenhaus sein?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, was da gerade los ist. Mein Mann, der ja noch als Arzt in einer Klinik arbeitet, berichtet mir täglich davon. Ich könnte mir selbst gut vorstellen, da wieder aktiv zu werden. Aber der Job als Gesundheitsministerin ist auch eine große Herausforderung und nicht ganz unwichtig.

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